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Hilfe für die Ukraine

Hilfe für die Ukraine

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Von Michael Fux

Was in den vergangenen Jahren in Europa als unvorstellbar galt, wurde zwischenzeitlich zur bitteren Realität. Während man der festen Überzeugung war, dass ein klassisch geführter Krieg in Europa nicht mehr möglich sei oder solche Kriege nur in weit entfernten Ländern stattfinden würden, wurde uns mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine schmerzlich vor Augen geführt, dass diese Annahme ein fataler Trugschluss war. Seit mittlerweile über zehn Tagen wird in der Ukraine unerbittlich gekämpft. Raketen schlagen ein, Panzer rollen voran, Kampfjets und Helikopter sind im Einsatz, grossflächige Artillerieeinsätze, schwerbewaffnete Bodentruppen und Häuserkämpfe in städtischen Gebieten gehören zur traurigen Tagesordnung.

Die ständigen Kämpfe und die Zerstörung bringen nicht nur etliche Soldaten an ihre Grenzen, sondern in noch viel verheerenderem Ausmass die Zivilbevölkerung, welche sich anfangs noch in Schutzbunkern verschanzte und mittlerweile in immer grösserer Zahl ausser Land flieht. Welch Leid ein solcher Krieg mit sich bringt, muss wohl kaum weiter ausgeführt werden. Die Bilder, welche täglich in den Medien gezeigt werden, verdeutlichen das Ausmass an Leid mehr als deutlich.

Dass man vor diesem Hintergrund und den unzähligen traurigen Einzelschicksalen gerne helfen möchte, liegt auf der Hand und ist mehr als nur wünschenswert. Doch Hilfe ist nicht gleich Hilfe. Man sollte sich die Frage stellen, wie kann man optimal und möglichst zielgerichtet helfen.

Wie kann man möglichst vielen Kriegsflüchtlingen helfen?

Für die Grünen, JUSO und unzählige Flüchtlingsorganisationen liegt die Antwort auf diese Frage anscheinend auf der Hand. Unverzüglich und wie im Chor vorgetragen, forderten sie die Aufnahme von 10’000 ukrainischen Flüchtlingen durch die Schweiz. Diese Forderung mag auf den ersten Blick als grosse Geste der Solidarität und Nächstenliebe wahrgenommen werden. Wenn man die Umstände und Gegebenheiten in der Ukraine und den umliegenden Ländern etwas genauer unter die Lupe nimmt, wird man feststellen, dass diese Forderung nichts weiter als die üblichen Floskeln links-grüner Parteien und Verbände darstellt.

Wirft man einen Blick über den Tellerrand hinaus, wird man erkennen, dass die Situation eines differenzierteren Augenscheins bedarf. Gemäss meinen Informationen und auch unterschiedlichster Berichterstattung ist es Fakt, dass derzeit die meisten Flüchtlinge in an die Ukraine angrenzende oder naheliegende Länder, wie Polen, Ungarn, Slowakei, Rumänien oder Moldawien, fliehen.

Dies hat mehrere Gründe. Zum einen kam der russische Einfall für viele Ukrainer trotz aller vorangegangenen Drohgebärden relativ überraschend. Man nahm an, dass wenn Russland einmarschieren würde, sich dieser Einmarsch örtlich auf die Gebiete Luhansk und Donezk beschränken und eine Annexion oder Besetzung dieser Gebiete im Vordergrund stehen würde. Durch den grossangelegten Einmarsch auf nahezu das gesamte Staatsgebiet der Ukraine waren von heute auf morgen plötzlich viel mehr Zivilisten betroffen und zur Flucht gezwungen. Wenn man ohne Vorwarnung zur Flucht gezwungen wird, nimmt man nur das Nötigste mit und flieht in die umliegenden Länder, da diese nahe sind und somit einen schnellen Anlaufpunkt darstellen. Hinzu kommt, dass die Fliehenden mehrheitlich Frauen, Kindern und ältere Personen sind, welche unmittelbar vor dem Kriegsgeschehen fliehen. Die meisten Männer bleiben entweder freiwillig vor Ort und kämpfen gegen die Invasoren oder sie dürfen gar nicht ausreisen, weil sie für den Kriegseinsatz eingezogen werden.

Diese Konstellation legt nahe, dass diese Flüchtlinge nicht in weit entfernte Länder fliehen wollen. Schliesslich müssen sie in ihrer Heimat einen Teil der Familie (Väter, Grossväter, Söhne, etc.) zurücklassen und dürften diese entsprechend vermissen und sich Sorgen um sie machen. Es ist daher einleuchtend, dass nach Beendigung der Kriegsgeschehnisse eine rasche Rückkehr der geflohenen Familien an erster Stelle steht und man zurück zu seinen Liebsten möchte.

Wenn nun Grüne, JUSO und diverse Flüchtlingsorganisationen fordern, dass die Schweiz 10’000 Flüchtende aufnimmt, ist dies weder zielführend noch mit Blick auf die effektiv zu erbringender Hilfe sinnvoll. Wenn die Schweiz 10’000 Flüchtlinge aufnimmt, entstehen folglich Kosten für Unterkunft, medizinische Behandlung, Krankenkasse (obligatorisch), Verpflegung oder Kleidung. Soweit so gut.

Doch genau hier sehe ich die Diskrepanz. Wenn diese finanziellen Mittel vor Ort und damit meine ich die Zielländer (siehe vorangehende Aufzählung), in welche die Ukrainer mehrheitlich fliehen, eingesetzt würden, könnte wesentlich mehr Menschen geholfen werden. Die Schweiz hat bekanntlich den Ruf einer Hochpreisinsel, wodurch mit demselben Mitteleinsatz, welcher für die geforderte Aufnahme notwendig wäre, im Osten wesentlich mehr leidende Menschen erreicht werden könnten.

Nehmen wir an die Aufnahme von 10’000 ukrainischen Flüchtenden in der Schweiz kostet 25 Millionen Schweizer Franken. Mit diesen CHF 25 Mio. könnte in Polen oder Rumänien mehreren 10’000 Flüchtenden geholfen werden. Warum diese Multiplikation? In den östlichen, an die Ukraine angrenzenden Ländern sind die Lebenshaltungskosten wesentlich tiefer als in der Schweiz. Im Jahr 2020 lag der Nettojahresverdienst in Polen bei 10’405 Euro. Anhand dieser Zahl kann jeder für sich selbst berechnen, wie weit er mit diesem Betrag in der Schweiz kommen würde. Ich sage nur, nicht sonderlich weit. Dadurch wird offensichtlich, dass jeder einzelne Schweizer Franken, welcher in den aktuellen Zielfluchtländern eingesetzt wird, einen um ein Vielfaches grösseren Effekt hätte und dadurch wesentlich mehr Notleidenden geholfen werden könnte.

Wie könnte Hilfe konkret aussehen?

Wie könnte diese Hilfe nun konkret aussehen? Ganz einfach, in Form von humanitären Gütern. Als im Jahr 2010 Haiti ein verheerendes Erdbeben erschütterte, hat die Schweiz 170 Tonnen Hilfsgüter für Haiti bereitgestellt. Würde man nun im Kriegsfall für die Flüchtenden ähnlich vorgehen, könnten vielmehr notleidende Menschen erreicht und ihnen somit geholfen werden. So könnte die Schweiz beispielsweise Lebensmittel, Kleider, Güter des täglichen Gebrauchs, medizinische Güter oder Unterkünfte in den entsprechenden Ländern finanzieren.
Ich schreibe absichtlich finanzieren und nicht liefern. Würden die Hilfsgüter in der Schweiz gekauft und in die an die Ukraine grenzenden Länder geliefert, würde der vorab beschriebene Effekt nicht greifen, sondern durch Administration und Transport zusätzliche Gelder verbrennen. Die Schweiz pflegt mehrheitlich ausgezeichnete Beziehungen zu besagten Ländern und auch zu unzähligen Hilfsorganisationen. Diese Beziehungen könnten genutzt werden, um vor Ort Partnerschaften zu bilden. Die Schweiz würde in diesem Konstrukt den Ländern und Organisationen finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, so dass die Partner vor Ort genau jene Güter oder Unterkünfte bereitstellen könnten, welche auch effektiv benötigt werden. Der Vorteil solcher Partnerschaften mit ortsansässigen oder vor Ort tätigen Organisationen ist, dass sie durch ihre Anwesenheit genau wissen, wo und wie Hilfe geleistet werden muss. Sie kennen die konkreten Bedürfnisse und wissen, welche Güter und Dienstleistungen Mangelware sind und welche Hilfeleistungen erforderlich sind. Solche Vorteile gilt es in humanitären Ausnahmesituationen, wie der aktuellen, zu nutzen.

Kurz zusammengefasst kann festgehalten werden, dass mit dem gleichen Aufwand, welcher die Aufnahme von 10’000 Flüchtlingen nach sich zieht, ein wesentlich grösserer Nutzen vor Ort und vor allem für wesentlich mehr Menschen geschaffen werden kann. Sollte das Ziel von Hilfe für Notbedürftige nicht genau darin liegen, möglichst viel Leid zu mindern und möglichst vielen Kriegsopfern zu helfen? Wenn man ernsthaft Hilfe leisten will, sollten nicht fixe Kontingentforderungen oder sich immer wiederholende Forderungen und Parolen im Vordergrund stehen, sondern zielgerichtete und effektive, breite Hilfeleistungen direkt vor Ort an die Betroffenen.

Michael Fux mit Bürgerort St. Niklaus lebt als „Exil-Walliser“ bzw. Walser in Bad Ragaz

SW
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