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TA-Redaktor Philippe Reichen auf Abwegen

TA-Redaktor Philippe Reichen auf Abwegen

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Eine Kolumne von Thomas Baumann

Was ist die Aufgabe von Journalisten?
Über aktuelle Ereignisse berichten – würde man meinen.

Ganz anderer Ansicht ist da offenbar der Korrespondent des Tages-Anzeigers für die Westschweiz, Philippe Reichen, in einem Artikel gestern.

In diesem Artikel über angeblich „kremlnahe Journalisten“ wirft er diesen vor, sich „kaum vom russischen Präsidenten“ zu distanzieren.

Mit solchen Aussagen beweist er, dass er seinen Beruf komplett missversteht. Denn eigentlich gehört es zur DNA des Journalistenberufs, zu den Personen, über die berichtet wird, Distanz zu wahren. Ja, es ist nachgerade eine Voraussetzung für die korrekte Ausübung des Berufs und sollte eigentlich selbstverständlich sein. Einem Journalisten zu sagen, er müsse Distanz zur Regierung wahren, ist, als würde man einem Maurer sagen, dass er seine Maurerkelle auf die Baustelle mitbringen soll.

Blick-CEO Marc Walder sorgte bekanntlich vor einigen Wochen für ziemlich viel Wirbel, als herauskam, dass er an seine Redaktionen die Direktive ausgab, positiv über die Corona-Massnahmen des Bundesrats zu berichten. Trotz dieser Vorkommnisse würde aber niemand von ihm verlangen, sich explizit von Bundesrat Alain Berset „zu distanzieren“, bevor er einen Artikel über ihn schreibt. Es genügt, seinen Job richtig zu machen, d.h. objektiv zu berichten.

Bei Putin ist das offenbar anders. Da genügt es für Journalisten nicht, einfach gewissenhaft ihrem Handwerk nachzugehen. Nein, sie müssen erst Zeugnis der richtigen Gesinnung ablegen. Sie müssten erst geloben, das zu tun, was jedem rechtschaffenen Journalisten selbstverständlich sein sollte: Distanz zum Gegenstand der Berichterstattung wahren.

Dabei gibt es für Journalisten nur eine Aufgabe: Objektiv berichten. Selbstbezichtigungen gehören nicht zum Berufsverständnis und erinnern eher an die „Grosse Proletarische Kulturrevolution“ im China von Mao Zedong als an die Schweiz im 21. Jahrhundert.

Doch auch in anderer Hinsicht erinnert Philippe Reichen’s Pamphlet an Mao’s Kulturrevolution. Wie dort geht es um die völlige Vernichtung der Persönlichkeit. Es gibt keine Grautöne mehr, sondern nur noch schwarz und weiss: Ist etwas verworfen, dann ist es abgrundtief verworfen und steht ausserhalb der menschlichen Ordnung.

„Verständnis für Putin“

So wirft er seinen angeblich Kreml-freundlichen Journalistenkollegen, insbesondere dem bekannten Westschweizer Journalisten Eric Hoesli, gleich im Titel vor, „Verständnis für Putin“ zu zeigen. Doch was ist dieses angebliche „Verständnis„? Einerseits wirft er Hoesli vor, Mitglied eines Clubs zu sein – eine Mitgliedschaft, die es ihm erlaube, „sich mit Putin, aber auch mit [dem russischen] Aussenminister Sergei Lawrow persönlich auszutauschen.
Dabei übersieht er völlig, was einen guten Journalisten ausmacht: Direkten Zugang zu den Mächtigen der Welt zu haben und so journalistischen Mehrwert zu schaffen – zusammen mit allen anderen Journalisten in der Pressekonferenz zu sitzen schafft keinen solchen Mehrwert.

Und andererseits macht er Hoesli zum Vorwurf, obwohl dieser offenbar nicht aufhört, den Krieg zu verurteilen – im Artikel wird er jedenfalls gleich zweimal entsprechend zitiert -, er stelle „nach wie vor eine Form von Rationalität im Kopf von Wladimir Putin“  fest.

Als müsste man, bloss weil man die Aktionen von Putin nicht gutheisst, ihm auch gleich noch die Rationalität absprechen. Soweit man sich erinnern kann, wurde dem Bundesrat während der Corona-Pandemie so Einiges vorgeworfen: Machtmissbrauch, Abhebelung der Volksrechte, Freiheitsberaubung – doch nie wurde ihm die Rationalität abgesprochen.

Rationalität bedeutet nicht, dass ein Mensch „gut“ ist. Instrumentelle Rationalität bedeutet einzig, dass er geschickt darin ist, seine Ziele zu erreichen. Inwiefern das Zubilligen von instrumentaler Rationalität einer Gutheissung der Methoden gleichkommen soll, mit denen eine solche Person ihre Ziele verfolgt, erschliesst sich dem neutralen Betrachter in keiner Weise.

Was hingegen auffällt: Weil Putin in den Augen von Philippe Reichen offenbar abgrundtief schlecht ist, muss ihm jeder Rest Menschlichkeit abgesprochen werden – und sei es nur pure instrumentale Rationalität. Wer ihn diese zubillige, zeige gemäss Philippe Reichen, „Verständnis“ für sein Handeln.

Wer auf diese Art einem Menschen – und handle er noch so verwerflich – alle menschlichen Eigenschaften zum Vornherein abspricht; wer ihm selbst die Fähigkeit zu kalter, nüchterner Rationalität abspricht und ihn so gänzlich ausserhalb der menschlichen Ordnung stellt, als wäre er eine wilde Bestie ohne menschliches Denkvermögen, zeigt damit selbst nicht die humanistische Gesinnung, die er von anderen einfordert.

(Illustration Beitragsbild: modifizierte Mao-Bibel)

SW
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