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Marko Kovic reloaded:

Marko Kovic reloaded:

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Eine Analyse von Thomas Baumann

Der promovierte Medienwissenschaftler Marko Kovic ist gerne in den Medien unterwegs.
Dabei bezeichnet es sich jeweils als Sozialwissenschaftler und Journalist – oder lässt sich zumindest als solche bezeichnen.

Erst vor zwölf Tagen veröffentlichte er wieder einen Artikel in der linken „Wochenzeitung“.

Der WoZ-Artikel ist gerade im zweiten Teil gefällig und interessant geschrieben. Die These eines politischen Schwenks der russischen Führung in den Jahren 2011-2012 und die Darstellung von dessen Hintergründen tönt zumindest plausibel. Wobei Marko Kovic wohl genauso wenig ein Russland-Experte ist wie ein Grossteil seiner Leser:innen.

Immerhin: Marko Kovic tritt als bekennender Skeptiker auf – und als  ehemaligem Präsidenten der Skeptiker Schweiz ist ihm selbstverständlich geläufig, dass man (als Skeptiker, als Kritiker) den Wahrheitsgehalt eines Arguments oder einer Aussage auch nach rein formalen Kriterien beurteilen kann und es dazu nicht unbedingt einer grossen Sachkenntnis bedarf. Marko Kovic ist selbst das beste Beispiel dafür: Als selbsternannter Experte für (fast) alles, äussert er sich zu so vielen verschiedenen Themen, dass die Hypothese, dass er auf allen davon ein Experte ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit verworfen werden kann.

Es reicht also nicht, dass man über Sachkenntnis verfügt, man muss auch den Gedankengang logisch sauber ausführen. Denn ohne die Fähigkeit zum stringenten Denken ist auch die beste Sachkenntnis nichts wert – sie eignet sich bestenfalls noch zum Lösen von Kreuzworträtseln. Wenden wir also für einmal Kovic auf Kovic an – untersuchen wir als Nicht-Russland-Experten die Ausführungen des Nicht-Russland-Experten Kovic nach rein logisch-formalen Kriterien auf ihren Wahrheitsgehalt:

Die drei Prämissen

Gemäss Kovic setzte „der Kreml ab circa 2013 auf eine Strategie reaktionärer Propaganda, die auf Traditionalismus und Konservativismus setzte.“ Nehmen wir einmal an, diese durchaus überzeugend anmutende Deutung historischer Ereignisse sei korrekt.

Weiter beschreibt Kovic, wie „in rechtskonservativen Kreisen“ im Westen die „angebliche Dekadenz des liberalen, woken“ Westens“ beklagt wird. Nehmen wir ebenfalls an, diese Analyse sei korrekt.

„Die reaktionäre, antidemokratische Staatsideologie [Russlands] war aber nicht bloss als innenpolitische Propaganda konzipiert“, so Kovic weiter, sondern „wurde auch aktiv nach aussen projiziert.“ Es ist davon auszugehen, dass Russland wie viele andere Staaten ebenfalls versucht, der Weltöffentlichkeit ein positives Bild seiner Verhältnisse zu vermitteln. Auch hier liegt Kovic wohl richtig.
WOZ Marko Kovic

Der logische Fehlschluss

Und daraus zieht Kovic den Schluss: „Propaganda wirkt. Ob die konservativen Kreise, die die Kreml-Propaganda des dekadenten, verweichlichten Westens wiedergeben, dies bewusst tun oder nicht, sei dahingestellt. Sicher ist: Sie machen sich dadurch zu nützlichen Idiot:innen, die das Dekadenznarrativ verinnerlicht haben…“

Oder mit anderen Worten: Russland verbreitet die Propaganda von der Dekadenz des Westens, „konservativen Kreise“ im Westen verbreiten dasselbe Narrativ – also war die Propaganda des Kremls erfolgreich.

Was Marko Kovic übersieht: Dies ist nicht die einzig mögliche Deutung des Zusammenhangs. Eine andere durchaus plausible Hypothese besagt nämlich, dass dieses Narrativ autochthon im Westen entstanden ist. Und eben genau weil es dort existiert, appelliert der Kreml daran und versucht sich als „Gegenpol und Gegenentwurf“ zur  westlichen Dekadenz darstellen. Die Menschen fühlen sich also gemäss dieser Hypothese von der russischen Propaganda angesprochen, weil sie selbst ähnliche Ansichten hegen. Während Kovic behauptet, dass die russische Propaganda der ursächliche Grund dafür ist, dass Menschen diesen Ansichten anhängen und die Kreml-Propaganda darum erfolgreich sei.

Es ist ziemlich offensichtlich, dass die Alternativhypothese plausibler ist als Kovic’s Hypothese. Ein anderes Beispiel: Sind gewisse Kreise in den USA für das Recht auf Waffentragen, weil Trump ebenfalls dafür ist? Oder ist es nicht vielmehr so, dass diese Kreise das Recht auf Waffentragen befürworten und entsprechend den Kandidaten wählen, der dieselbe Position vertritt? Die Frage dürfte ziemlich einfach zu beantworten sein: Man wählt Trump weil man für das Recht auf Waffentragen ist – und nicht umgekehrt.

„Konservative Kreise“ in Europa beklagen also nicht die „Dekadenz des Westens“, weil Putin das tut – sondern eben weil sie die Dekadenz des Westens beklagen, finden sie Gefallen an Putins Russland. Die Kausalität ist somit mit grösster Wahrscheinlichkeit genau umgekehrt als von Kovic behauptet.

Nützliche Idiot:innen Chinas?

„Konservative Kreise“ im Westen sind, wie Marko Kovic zweimal in seinem Text betont, „nützliche Idiot:innen“ der russischen Propaganda, bloss weil sie dasselbe Narrativ verbreiten.

Wie diese Hypothese auf den Holzweg führt, zeigt ein anderes Beispiel. Bekanntlich glauben die meisten Menschen im Westen an einen natürlichen Ursprung des Corona-Virus. Allerdings propagiert auch die chinesische Regierung die These, dass das Coronavirus natürlichen Ursprungs sei. Sind nun alle Menschen im Westen, die an einen natürlichen Ursprung des Coronavirus glauben, ebenfalls bloss „nützliche Idiot:innen“ Chinas?

Wer sich selbst als Aktivist gegen Verschwörungstheorien inszeniert, wie das Marko Kovic tut, sollte seine Ausführungen sorgfältiger abwägen und möglichen Alternativhypothesen mehr Beachtung schenken – denn sonst wird man selbst schneller zum Verschwörungstheoretikern, als einem lieb ist. Das Zeichen von Verschwörungstheoretikern ist ja gerade der Tunnelblick, die Nichtbeachtung möglicher Alternativhypothesen. Indem er überdies eine blosse Korrelation – das gleichzeitige Auftreten identischer oder ähnlicher Phänomene an verschiedenen Orten – ohne weitere Prüfung als Kausalität ausgibt, verwendet er selbst einen beliebten verschwörungstheoretischen Kniff.  Kurz und gut: Ohne irgendwelche Belege, einzig beruhend auf einer beobachteten Korrelation, zu behaupten, Putin wäre der Einflüsterer rechtskonservativer Kreise im Westen, ist selbst nichts anderes als eine Verschwörungstheorie par excellence.

Gleich selber in die Falle der Verschwörungstheorie zu tappen, ist jedoch beileibe nicht der einzige Überlegungsfehler von Marko Kovic. Denn die von ihm zitierten Vertreter „konservativer Kreise“ im Westen beklagen die angebliche westliche Dekadenz eben gerade im Hinblick auf eine mangelnde Wehrfähigkeit: Es brauche Panzer und Geschütze, nicht Gender-Sternchen. Will Marko Kovic in seinem Traktat tatsächlich behaupten, dass Ziel der russischen Propaganda sei letztlich die Aufrüstung des Westens? Denn diese absurde Schlussfolgerung ergibt sich unweigerlich aus seiner Argumentation.

Marko Kovic ist immer lesenswert – aber in diesem Fall dient sein Artikel eher als Beispiel, wie man eben nicht argumentieren sollte.

Nachtrag:
„In einer ersten Version der Analyse war die Rede davon, der WoZ-Artikel hätte Marko Kovic in der Folge ein SRF-Interview eingebracht. Dies ist nicht korrekt. Zwar erschien der SRF-Artikel mit dem Interviewtext erst am 8. März – inklusive Verweis auf den WoZ-Artikel vom 3. März. Beim SRF-Artikel handelt es sich aber um eine Abschrift eines Gesprächs, das gemäss Marko Kovic bereits am 2. März stattfand – ohne aber von SRF entsprechend gekennzeichnet zu sein.“

SW
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