
Auf dem linken Auge blind
Eine Kolumne von Thomas Baumann
Diesen Samstag stellte der Tages-Anzeiger in einem gross aufgemachten Artikel ein neues Buch seines Redaktors Andreas Tobler über die – Zitat – „legendäre Gruppe Bändlistrasse“ vor. Bändlistrasse?
Die Bändlistrasse ist die wohl am meisten gefürchtete Strasse in Zürich. Nicht weil daselbst Drogen verkauft oder alle zehn Meter mit Schmetterlingsmessern hantiert würde – sondern weil dort das Steueramt seinen Sitz hat.
Bestimmt fragt sich die geneigte Leserschaft, was uns hier im Wallis denn das ferne Zürich angeht (ausser als Ausbildungsstätte für Mitarbeiter des WB und auch dieser Zeitung hier)? Nun, immerhin ist es die Wirtschaftsmetropole der Schweiz und der Tages-Anzeiger die meistverbreitete Zeitung dort.
Die „Gruppe Bändlistrasse“ war eine Wohngemeinschaft zu Beginn der bewegten 1970er-Jahre, die in der linken bzw. linksextremen Szene aktiv war und in einer Neubau-Siedlung an ebendieser Strasse wohnte.
Im April 1972 hechtete ein Mann im Drogenrausch aus einem Fenster im dritten Stock jener Siedlung. Bei der darauffolgenden Hausdurchsuchung fand die Polizei etwa drei Dutzend Schusswaffen und den Sprengstoff TNT. Ein regelrechtes Waffenarsenal also. (Bitte beachten Sie, daß auf dem Beitragsbild nicht alle Waffen zu sehen sind, weitere Bilder z. B. hier)
Wie sollte ein Bericht über ein solches Ereignis wohl anheben? Der Tages-Anzeiger meint so: „Es ist Sommer, und ich warte auf einer Parkbank irgendwo in der Ostschweiz auf einen Mann, der bei einem Ereignis dabei war, über das damals in ganz Europa, Brasilien, Guatemala, Vietnam und den USA berichtet wurde.“
Schön, für den Redaktor, dass es Sommer war. Dies scheint für ihn die Hauptsache gewesen zu sein. Es hätte ja auch Winter sein können. Da wäre das Warten auf einer Parkbank sicher weniger angenehm gewesen.
Man stelle sich einmal vor…
… der Redaktor hätte stattdessen einen bisher unbekannten Hintermann des Bataclan-Attentats in Paris aufgespürt. Nein, die Familien der Opfer wären wohl ’not amused‘ gewesen, dass der Redaktor gleich zu Beginn in Erinnerung ruft, dass er bei angenehmen Temperaturen auf einer öffentlichen Sitzgelegenheit ruhte.
Und natürlich vergass er auch nicht, zu erwähnen, dass ihn sein Kontakt eine geschlagene Stunde warten liess. Ja, der Beruf des Journalisten ist hart und gefährlich. Manchmal muss man sogar warten. Aber wenigstens war das Wetter offenbar mild – und ähnlich locker-flockig im Stil geht es weiter.
Drei Dutzend Waffen? Aber man dürfe doch nicht vergessen, dass damals nur tausend Kilometer entfernt in Spanien ein faschistisches Regime an der Macht war. Ach so?
Man stelle sich vor, unser TA-Redaktor würde stattdessen auf irgendeiner Parkbank auf ein ehemaliges Mitglied einer Neonazi-Gruppierung warten. Der kommunistische Ostblock war damals ja nur etwa 500 Kilometer entfernt. Nein, so locker flockig hätte unser wackerer TA-Redaktor rechtsextreme Umtriebe – zu Recht – nicht entschuldigt.
Und was das Gegenargument angeht, dass Kommunismus keine Entschuldigung dafür sei, zum Neonazi zu werden: Francisco Franco ist auch kein Grund dafür, linksextrem zu werden. Schliesslich waren nur die allerwenigsten Franco-Gegner linksextrem.
„Jugendsünden“
Die Fotos zum Artikel: Ein älterer Herr mit sympathischem Wuschelbart lachend und beim Kaffeetrinken – die Legende dazu: „Mit seiner Vergangenheit hat er abgeschlossen.“ Schön, Jugendsünden eben. Was sind denn schon ein paar Dutzend Schusswaffen und Kontakte zu einer ausländischen Terrororganisation? Vergessen und vergeben. Und das heute, wo von Personen öffentlich Abbitte verlangt wird – nicht etwa, weil sie Putins Politik unterstützt hätten, sondern bloss dafür, dass sie ihm Rationalität zugebilligt haben.
Ein weiteres Foto: Ein unaufgeräumtes Schlafzimmer und die Legende dazu: „Funkgeräte, Einbruchswerkzeug, Chaos: Blick ins Schlafzimmer der Bändlistrasse-Wohnung“. Ach ja, in einer WG ist es eben manchmal ein bisschen chaotisch, das wissen doch alle…
Man hätte natürlich auch das Polizeibild mit den drei Dutzend Waffen nehmen können, aber was will man sich mit solchen Details herumschlagen? Das WG-Chaos erinnert den altlinken Journalisten so wohlig an seine eigene Jugendzeit, nur darauf kommt es doch an.
Verräterische Wortwahl
In demselben Ton geht es weiter: Autos knacken, damit „zum Spass“ mit 130 Sachen durch die Stadt zu rasen. Nein, dafür wird keine Abbitte verlangt. Eine kleine Demonstration für den Journalisten, wie man ein Schloss aufbricht… Ob der Journalist die Szene wohl ebenso genüsslich mitverfolgt hätte, hätte ihm stattdessen ein Neonazi eine anschauliche Demonstration davon gegeben, wie er Linke und Ausländer verprügelt?
Das Wort „Einbruch“ kommt unserem sensiblen Journalisten nicht über die Lippen. Das nennt er lieber verniedlichend „einsteigen“: „Mit der Kaba-Methode konnten die Mitglieder der Gruppe Bändlistrasse fast überall einsteigen.“ Erinnert doch irgendwie an den Sketch des Trio Eugster aus dem 1980er Jahren: „Iistige bitte!“ Ja, lustig war’s damals im linksextremen Milieu!
Und weiter im Takt: „Während der Gespräche mit Zeitzeugen stellte ich fest, dass es für viele noch heute schwierig ist, über die damalige Zeit zu sprechen.“ Ach, die armen Jugendlichen! Man könnte glatt meinen, der Redaktor hätte mit Opfern von Kindsmissbrauch gesprochen.
„Im Park habe man sich noch nicht einmal auf eine Wiese setzen dürfen.“ Das ist natürlich eine Entschuldigung dafür, ein Waffenarsenal anzulegen. Ob es für unseren Journalisten wohl auch eine Entschuldigung dafür wäre, Überfälle auf Linke und Ausländer zu verüben? Na eben!
Man stelle sich einmal vor, unser Journalist hätte stattdessen ein Buch über eine rechtsextreme Gruppe geschrieben. Der Tages-Anzeiger würde wohl kaum schreiben: „Dank Gesprächen mit allen noch lebenden Gruppenmitgliedern und tausenden Aktenseiten gibt das Buch einen intimen Einblick in eine bis jetzt unbeschriebene Szene.“ Ein „intimer Einblick“ in eine „legendäre Gruppe“ – das tönt doch wirklich putzig.
Ein Musterbeispiel dafür, wie man Terrorismus medial entschuldigt und verniedlicht.
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