
Zermatter Abfallskandal
Eine Analyse von Thomas Baumann
Die Fakten sind bekannt: Anstatt das bewährte und preisgekrönte Wertstoff- und Abfallsammlungssystem „Alpenluft“ des bisherigen Anbieters Schwendimann AG aus Münchenbuchsee weiterzubetreiben, will die Einwohnergemeinde Zermatt ab dem 1. Oktober dieses Jahres eine eigene ‚Public-Private-Partnership‘ für die Wertstoff- und Abfallsammlung auf die Beine stellen. Dies ist ein Entscheid, der etliche Frage aufgeworfen hat, denn das bisherige System mit Modellcharakter erhielt viel Anerkennung weit über die Gemeindegrenzen hinaus.
Der brüske Abbruch der öffentlichen Ausschreibung im letzten Herbst – von der Gemeinde erst mehr als fünf Monate (!) nach dem Entscheid kommuniziert – ist nicht nur ein eklatanter PR-Flop der PR-Fachfrau und Gemeindepräsidentin Romy Biner-Hauser. Es kommen auch immer mehr Ungereimtheiten und Widersprüche zum Vorschein. Im Folgenden seien nur sechs davon genannt:
1. Die Mär von der ungenügenden Zahl von Geboten
Als offizieller Grund für den Abbruch der Ausschreibung wurde angegeben, das nur ein einziger Anbieter ein Gebot abgegeben habe, welches den technischen Spezifikationen genügt habe. Recherchen dieser Zeitung haben jedoch zu Tage gefördert, dass es in Zermatt Tradition hat, dass bei Ausschreibungen auch dann ein Zuschlag erteilt wird, wenn nur ein einziges Gebot vorliegt – selbst wenn es um Aufträge im Millionenbereich geht. Im einen Fall genügt ein Gebot für den Zuschlag, beim anderen nicht – der Verdacht auf willkürliches Handeln liegt hier nahe. Gemeindepräsidentin Romy Biner-Hauser, mit dem Vorwurf der Willkür konfrontiert, reagierte mit: Schweigen.
2. Vorgeblich preisbewusste Gemeinde verzichtet auf günstigstes Angebot
Die Einwohnergemeinde Zermatt liess sich die Gelegenheit nicht entgehen, dem abtretenden Entsorgungsdienstleister Schwendimann AG zum Abschluss noch einen Tritt ans Bein zu verpassen. So tönte es am 9. Juni dieses Jahres: „Aufgrund eines überteuerten Angebots des bisherigen Anbieters konnte das bestehende Inventar leider nicht übernommen werden“ (https://gemeinde.zermatt.ch/abfallbewirtschaftung). Im Fussball nennt man das: Revanchefoul. Aber was macht die Gemeinde? Sie vergibt den Auftrag für die neue Infrastruktur freihändig, d.h. ohne öffentliche Ausschreibung, obwohl einerseits mehr als genug Zeit für eine regelkonforme Ausschreibung vorhanden gewesen wäre und obwohl andererseits zur Genüge bekannt ist, dass der Wettbewerb – in diesem Fall also der Wettbewerb in Form einer öffentlichen Ausschreibung – zu tieferen Preisen führt. Gemeindepräsidentin Biner-Hauser reagierte auf entsprechende Fragen wiederum mit: Schweigen.
3. Auswärtige attackieren, mit Einheimischen knuddeln
Die Walliser und die Üsserschwiizer – eine lange Geschichte. Das neueste Kapitel schrieb der Zermatter Gemeinderat. Wie gesehen, ergötzte er sich darin, gegenüber dem langjährigen auswärtigen Entsorgungsdienstleister nachzutreten. Ganz im Gegensatz dazu ergeht man sich gegenüber den einheimischen Spezi in veritablen Lobhudeleien: „Für die Umsetzung und Einführung [der neuen Lösung für die Abfallbewirtschaftung] wird das Fachwissen eines sehr kompetenten Logistikers beigezogen.“ Oder in einfache Prosa übersetzt: Ein Zermatter Spezi darf seine Lastwagen besser auslasten.
Wer dieser Spezi ist: Das wollte die Gemeindepräsidentin – die sich selbst unter dem Motto „Sei frech, wild und und wunderbar“ vermarktet – nicht verraten. Fertig mit „wunderbar“.
4. Der Versager kriegt den Job
Wenn zwei ein Gebot einreichen und davon eines den technischen Spezifikationen genügt und das andere nicht – und man sich nach dem Abbruch der Ausschreibung entscheiden muss, mit welchem Anbieter man zusammenarbeiten will: Wie würde sich ein normal denkender Mensch wohl entscheiden?
In Zermatt gehe die Uhren offenbar anders: In Zukunft soll mit dem Arbeiter zusammenarbeitet werden, der bei der Ausschreibung nicht fähig war, den technischen Spezifikationen gerecht zu werden. Eine Erklärung zu dieser reichlich sonderbaren Wahl von Seiten der Einwohnergemeinde Zermatt? Fehlanzeige!
5. Einer ist in der Kommission, der andere nicht
Man soll den Bock nicht zum Gärtner machen. Oder: Diejenigen, die überwacht werden, sollen nicht selbst in der Überwachungskommission sitzen. Entsprechend sitzt kein Vertreter des aktuellen Entsorgungsdienstleisters Schwendimann AG in der Entsorgungskommission der Einwohnergemeinde Zermatt. Soweit so gut.
Weniger konsequent ist, dass im Gegensatz dazu ein Vertreter der Biogasanlage Zermatt, die auch in die Abfall- und Wertstoffbehandlung Zermatts eingebunden ist, in der Kommission sitzt.
Der Grund für diese Ungleichbehandlung: Gemeindepräsidentin Romy Biner-Hauser wollte oder konnte keinen nennen.
6. Die Lüge vom Ausbau des Service Public
Die Gemeinde Zermatt verkaufte die Ausbootung des bisherigen Dienstleisters Schwendimann AG unter anderem mit dem folgenden Argument:
„Diese neue Ausgangslage ermöglicht es uns, Verbesserungen vorzunehmen. Die Abfallpressen werden neu mit den ortsüblichen Elektrofahrzeugen transportiert. Dies ermöglicht uns Synergien zu nutzen und mit den neuen kleineren Pressen können in Kombination mit dem auf Zermatter Verhältnisse angepassten Fuhrpark, zukünftig auch bislang schwer zugängliche Standorte bedient werden.“
Doch was lesen wir im neuesten Newsletter: „Die bestehenden Molok-Sammelstellen in Winkelmatten, Zen Stecken, Getwingstrasse, Obere Matten und Zer Bännu werden allesamt aufgehoben. […] Diese Sammelstellen werden bis auf weiteres ersatzlos gestrichen.“
Die Gemeinde versprach einen Ausbau des Service Public – und das Resultat ist ein Abbau des Service Public. Das neue Zermatter Entsorgungszeitalter fängt ja gut an!