
Das Wallis und der Merkantilismus, Teil II
Eine Kolumne von Thomas Baumann
Erst kürzlich forderte Thomas Egger, Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) wortwörtlich: „In jedem [Walliser, die Red.] Hotel muss zwingend ausschliesslich Walliser Käse auf dem Frühstücksbuffet angeboten werden.“
Diese Forderung klingt auf den ersten Blick logisch – ist aber dennoch völlig verkehrt.
Denn wenn man diese Handlungsmaxime ernst nehmen würde, dürften auch Zürcher Hotels nur noch Käse aus dem Züribiet anbieten – fertig mit feinem, würzig-kräftigen Walliser Alpkäse (selbstverständlich mit Herkunftsbezeichnung, wie das in gehobenen Hotels üblich ist) auf dem Frühstücksbuffet. Schade um den schönen Absatz- und Werbemarkt für Walliser Käse, kann man da nur sagen!
Umgekehrt müsste selbst in einem Walliser Hotel, das vor allem Chinesen oder Inder beherbergt, zwingend Walliser Käse aufgetischt werden.
Wäre es in diesem Fall unter Gesichtspunkten des Marketing nicht besser, man würde den Walliser Käse in Zürich einer Klientel anbieten, die willens und fähig ist, diesen auch ausserhalb des Hotelbesuchs nachzufragen, anstatt ihn im Wallis einer weniger Käse-affinen Klientel vorzusetzen, die zudem in den meisten Fällen nur einmal im Leben das Wallis besucht? (Und darüber hinaus in ihrem Heimatland praktisch keine Möglichkeit hat, diese Art von Käse zu erstehen.)
Das merkantilistische Rezept des „Walliser Käse in Walliser Hotels“ ist offensichtlich ein Schuss in den eigenen Fuss. Würden alle Kantone wie das Wallis handeln, gäbe es ausserhalb des Wallis keinen Absatzmarkt für Walliser Käse mehr.
Anstatt auf eine geographische Übereinstimmung hinzuarbeiten – ‚Walliser Käse in Walliser Hotels‘ – sollte Käse vielmehr zielgruppenspezifisch vermarktet werden: Also hochwertiger Käse für eine Käse-affine Kundschaft und minderwertiger Industriekäse für Personen, die mit Käse nichts anzufangen wissen.
Schliesslich käme auch niemand auf die Idee, dass hochwertige Bordeaux-Weine ausschliesslich im Bordelais serviert und getrunken werden müssten.
Kann Walliser Käse tatsächlich nur im Wallis abgesetzt werden, müsste es sich dabei zwangsläufig um ein Produkt minderer Qualität handeln. Ansonsten wäre es ungerecht gegenüber Gourmets, Delikatessenläden in der ganzen Schweiz Walliser Käse vorzuenthalten – nur um ihn im Wallis beispielsweise einer asiatischen Kundschaft vorzusetzen, die in aller Regel mit industriell hergestelltem Scheibenkäse besser bedient wäre.
Der Unsinn der ganzen Überlegung zeigt sich noch deutlicher, wenn man einmal „Käse“ durch „Brot“ ersetzt. Viele Asiaten haben die Angewohnheit, bloss das weisse Innere aus ungetoasteten Toastbrotscheiben (!) zu verspeisen und die Rinde wegzuwerfen, weil diese angeblich ‚zu hart‘ sei.
Würde man diese Klientel dazu nötigen, sich an Walliser Roggenbrot zu abzumühen, dann würde wohl viel eher das Wallis aus den Reiserouten asiatischer Gäste gestrichen werden, als dass der Export von Walliser Roggenbrot nach Asien einen enormen Aufschwung erfahren würde.
Anstatt den Walliser Hoteliers eine ‚Geiz ist geil‘-Mentalität zu unterstellen, wenn diese für ihre Klientel auf Industriekäse setzen, sollte man ihnen zu Gute halten, dass sie die Bedürfnisse ihrer Kundschaft wahrscheinlich besser kennen als irgendwelche Theoretiker in ihren Büros in der Stadt Bern.
Umgekehrt sollte Walliser Käse (sofern er tatsächlich so hochwertig ist, wie immer behauptet wird) besser einer Kundschaft zukommen, die damit etwas anzufangen weiss und damit auch eine entsprechende Zahlungsbereitschaft hat – als ihn Einmaltouristen nachzuschmeissen.
Selbst im Fall, dass Merkantilismus nach dem Gusto des Wallis betrieben wird – dass also das Wallis Heimatschutz betreiben darf, sonst aber niemand – wäre das Resultate nicht unbedingt positiv. Das Angebot an Walliser Käse ist schliesslich nicht unendlich: Käse, der im Wallis billig verramscht wird, steht anderswo nicht mehr zur Verfügung und so gibt es möglicherweise einen Mangel an Käse für den Export in die Üsserschwiiz, wo er gegebenenfalls höhere Preise erzielen könnte.
Merkantilismus und wirtschaftlicher Heimatschutz sind offensichtlich auch beim Käse eine denkbar schlechte Idee!
