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Wenn Theoretiker den Praktikern die Welt erklären wollen
Boulevardpresse auf AbwegenWenn Theoretiker den Praktikern die Welt erklären wollen

Boulevardpresse auf Abwegen

Wenn Theoretiker den Praktikern die Welt erklären wollen
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Eine Kolumne von Thomas Baumann

England ist für seine Boulevard-Medien bekannt. Keine Tat zu schäbig, als dass sie der Presse nicht als Aufhänger dienen kann. Daher kam dem Fernsehsender ITV News die Meldung gerade recht, dass Feuerwehrleute im Süden Englands angeblich Fotos von weiblichen Unfallopfern machten und diese in einem Gruppenchat teilten – inklusive Bemerkungen zur Unterwäsche der verstorbenen Frauen.

In der Schweiz interessierte sich allerdings niemand dafür – ausser dem Nachrichtenportal nau.ch, das ebenfalls nicht gerade für seine gehobene Berichterstattung bekannt ist.

Das Portal zitiert eine Feuerwehrfrau mit den Worten: „Ich habe gesehen, wie einige Kommentare über die Unterwäsche machen, die Frauen während des Unfalls trugen.“ Und weiter: „Eine Leiche zu bergen, sollte dich innerlich zerreissen. Es sollte dich nicht dazu anstiften, Fotos davon zu machen, damit du später Witze reissen kannst.“

Offenbar gab es im Korps auch noch Fälle von sexueller Belästigung. Keine Frage, solches Verhalten ist inakzeptabel und entsprechende Vorwürfe gehören aufgeklärt. Auch respekt- und pietätlose Kommentare gehören sich nicht. Schliesslich lebt jeder und jede von uns mit dem Risiko, eines Tages selber Angehörige in einem Unfall zu verlieren. Da möchte man doch wenigstens die Gewissheit haben, dass diese mit der gebührenden Pietät behandelt werden.

Der Kommentar der Feuerwehrfrau verrät allerdings, dass sie selbst wohl kaum zu Unfallszenen gerufen wurde. Denn: innerlich zerreissen sollte eine solche Szene die Feuerwehr- und Rettungsdienste eben genau nicht. Damit ist nichts, überhaupt nichts gewonnen. Einerseits wird damit potentiell die Einsatzbereitschaft der Einsatzkräfte tangiert, andererseits kommt zu einem Schaden, der bereits angerichtet ist, noch ein zusätzlicher Schaden: Mehr Leid kommt zu bestehendem Leid. Das kann definitiv nicht das Ziel sein.

Wenn es bei der Bewältigung der schrecklichen Erlebnisse hilft, wären sogar Witze zulässig – aber eben nur als gut gehütetes Geheimnis, von dem niemand weiss. Denn die erforderliche Pietät muss wenigstens vordergründig gewahrt bleiben. Leider lassen sich im Zeitalter sozialer Medien solche Geheimnisse allerdings kaum mehr bewahren.

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