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Oberwalliser Parochialismus, Teil 2

Oberwalliser Parochialismus, Teil 2

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Ein Kommentar von Thomas Baumann

Die Walliser Bote echauffierte sich wieder einmal. In (diesmal etwas weniger) fetten Lettern titelte er: „Von Geschenken, die keine sind – und keine sein dürfen“

Derart in Rage gebracht hatte das Oberwalliser Regionalblatt – die paar wenigen aus dem Nouvelliste abgekupferten Meldungen machen das Blatt noch nicht zu einer Zeitung für den ganzen Kanton – der Walliser Verfassungsrat.

Artikel 47 der neuen Kantonsverfassung regelt die Wahl der Ständeräte des Kantons Wallis. Im Vorentwurf zur zweiten Lesung stand in Absatz 2: „Ein Mitglied des Ständerats wird aus den Stimmberechtigten der Regionen Brig und Visp [d.h. dem Oberwallis, die Red.] gewählt, wenn bei der letzten Wahl kein gewähltes Mitglied des Ständerates in diesen Regionen wohnhaft war.“

Diesen Passus änderte der Verfassungsrat ab in: „Besteht ein langfristiges Ungleichgewicht in der Vertretung der Sprachregionen bei den Mitgliedern des Ständerats, kann das Gesetz eine zeitlich befristete Massnahme zur Korrektur dieses Ungleichgewichts vorsehen.“

Diese Formulierung ist natürlich ein Papiertiger.

Die ursprüngliche Formulierung sicherte dem Oberwallis hingegen eine Vertretung von mindestens 25% zu – de facto aber noch mehr. Und dies bei einem Bevölkerungsanteil von weniger als 25%.

Hauptsache: übervertreten

Man sieht: Das Oberwallis möchte seine Privilegien gerne behalten. Wie weiland schon seine Vorväter: Erst nach hartem Widerstand gaben die sieben Zehnden im 19. Jahrhundert schliesslich ihre Untertanengebiete im Unterwallis auf. Gewisse Oberwalliser sehen sich aber offenbar noch immer in der Rolle des Kolonialherren – nur dass sie zur Durchsetzung ihrer Ansprüche nicht mehr zu den Waffen greifen, sondern es stattdessen mit Drohen, Schmollen und dem Spielen der beleidigten Leberwurst versuchen.

Schauen wir uns einmal die Fakten an: Im unerwarteten Fall, dass einmal zwei Ständeräte aus dem oberen Kantonsteil gewählt werden sollten, besteht gemäss der ursprünglichen Fassung von Artikel 47 kein Anlass, dass einer bei der nächsten Wahl die Segel streicht. Auch wenn das bedeutet, dass die 75% Französischsprachigen im Kanton – wenn man nur auf die Sprache abstellt – überhaupt nicht repräsentiert sind.

Eine Verfassungsbestimmung, die nur dem einen Kantonsteil Rechte zusichert – so etwas geht ganz bestimmt nicht! Es ist wie bei Geschlechterquoten: Reine Frauenquoten sind diskriminierend – wenn schon braucht es Quoten für beide Geschlechter. Alles andere ist verfassungsrechtlicher Schlendrian. Die ursprüngliche Formulierung von Artikel 47 war somit schlicht und einfach diskriminierend.

Eine weitere Diskriminierung: Nur Ständeräte aus dem französischsprachigen Kantonsteil müssen gegebenenfalls zwangsweise zurücktreten – solche aus dem Oberwallis nie! Oder wie es George Orwell formulierte: Alle sind gleich, aber einige sind gleicher. Und diejenigen, die gleicher sind, stammen immer aus dem Oberwallis! Die Herrscher des ancien regime wären durchaus erfreut.

Dass der Verlust der Untertanengebiete offenbar immer noch nicht verwunden ist, zeigt die Formulierung im Walliser Boten: „Der Wert eines Geschenkes liegt immer in den Augen des Beschenkten.“ Oder konkret: Wir als Minderheit möchten selber bestimmen, welche Minderheitenrechte wir bekommen. Nein, so geht es in einer Demokratie eben gerade nicht. In einer Demokratie beschliesst immer die Mehrheit – auch wenn es um Minderheitenrechte gibt. Das Strafgesetzbuch wird ja auch nicht von Straftätern entworfen – obwohl es darin vor allem um ihre Lebensumstände geht.

Nur in einer feudalen Gesellschaft kann eine Minderheit – die Feudalherren – ihre eigenen Privilegien selber bestimmen.

Zwar konzediert das Blatt: „Es stimmt, dass bisher nur selten eine Doppelvertretung aus dem Mittel- und/oder Unterwallis gewählt wurde.“ Nur um daraus zu schliessen: „Das aber lässt den demographischen Wandel ausser Acht.“ Eine schöne Sophisterei! Denn den demographischen Wandel ausser Acht lassen möchte doch vielmehr der Walliser Bote, mit seinem Festschreiben historisch gewachsener (aber nicht mehr zeitgemässer) Privilegien.

Wie im Sandkasten

Und weiter donnert der Redaktor: „Im Verfassungsrat geht es nicht um echte oder vermeintliche Geschenke. Darf es nicht gehen. Es geht um den Kompromiss.“ Oder mit anderen Worten: Kriegen wir nur die Hälfte, dann ist es ein Geschenk, das wir nicht wollen. Kriegen wir alles, dann ist es ein fairer Kompromiss. So zanken sich vielleicht Kleinkinder im Sandkasten um einen Plastikbagger – bei erwachsenen Männern und Zeitungsredaktoren ist eine solche Denkweise nur noch peinlich!

Doch wie soll dieser „Kompromiss“ überhaupt aussehen? Im Ständerats soll das Oberwallis tendenziell übervertreten sein – mit einer Vertretung von (statistisch) mindestens einem „halben“ Ständerat, eher aber 3/4 eines Ständerats.

Und im Regierungsrat? Da fordert der Walliser Bote garantierte 28% der Sitze (zwei von sieben), bei einem Bevölkerungsanteil von gerade einmal 24%.

Fazit: Im Ständerat übervertreten – und im Regierungsrat ebenfalls! Sieht so in Kompromiss aus? Ein Kompromiss wäre vielmehr, eine (potentielle) Untervertretung in einem Gremium durch eine Übervertretung in einem anderen Gremium zu kompensieren. Aber in allen Gremien übervertreten sein zu wollen – nein, so etwas ist kein Kompromiss! Kompromiss ist ein Geben und Nehmen – aber im Oberwallis versteht man unter einem Kompromiss nicht ein Geben und Nehmen, sondern dass man alles kriegt, was man will. Und der Walliser Bote hat noch die Chuzpe, diese garantierte Übervertretung als „Anrecht auf eine angemessene Vertretung in den politischen Gremien“ zu bezeichnen.

Das Oberwallis stellt heute einen von zwei Ständeräten und zwei von fünf Regierungsräten. Es ist offensichtlich: Der französischsprachige Kantonsteil gönnt dem Oberwallis seine Stimme im Chor der Kantons und beklagt sich nicht über die Übervertretung der Deutschsprachigen in den wichtigsten Gremien des Kantons. Und als Dank erwartete ihn dafür: Offen ausgedrücktes Misstrauen. Das Oberwallis gleicht einem Wirt, der bei einem Stammkunden plötzlich sofort einkassieren will, weil er Angst hat, er werde zum Zechpreller.

Und selbstverständlich vergleicht der Walliser Bote den französischsprachigen Kantonsteil auch noch mit einer Grosstante, von der man jeweils an Weihnachten einen Strickpulli erhalte, der „kurz darauf in der hintersten Ecke des Kleiderschranks“ landet. Oder mit anderen Worten: Ihr könnt uns mal gestohlen bleiben!

Unverhohlen droht die Zeitung ein Abstimmungsfiasko an: „Nicht mit Zahlen gewinnt man Abstimmungen, sondern mit Emotionen. Und die Emotionen im Oberwallis sind derzeit grossmehrheitlich negativ.“

Und wer schürt diese Emotionen in der Bevölkerung? Nicht zuletzt der Walliser Bote selbst. Er gleicht damit einem Brandstifter, der „Feuer!“ ruft.


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