Klimaseniorinnen sind zurückDie Hitze, die Grossmutter und der Tod
Eine Kolumne von Thomas Baumann
Der Arzt André Seidenberg gilt als «Pionier einer neuen Drogenpolitik» in der Schweiz. Obwohl etwas gar unbescheiden sich auf der eigenen Webseite so rühmend, trifft die Charakterisierung im Grossen und Ganzen zu.
Daneben versucht er sich als Autor — sei es auf seinem eigenen Blog oder gelegentlich im «Tages-Anzeiger».
Auf seinem Blog tönt er zwischendurch auch einmal so: «Wollt Ihr den totalen Sieg?» — dies, wohlgemerkt, an die Adresse des Staates Israel gerichtet.
Ganz abgesehen von der geschmacklosen Anspielung auf Goebbels ist die Frage auch falsch gestellt: Warum soll ausgerechnet die (unabhängig vom amtierenden Ministerpräsidenten) mit Abstand effizienteste und kompetenteste Staatsverwaltung in der Region abdanken — mit dem Resultat, dass noch mehr Menschen unter korrupten und unfähigen Regimes leiden müssen?
Israels Araber jedenfalls dürfte er kaum gefragt haben, ob diese lieber unter einer erwartungsgemäss inkompetenten arabischen Verwaltung leben möchten. (deren mehrheitliche Antwort ist im Übrigen aus Umfragen bekannt und lautet: nein.)
Im «Tages-Anzeiger» lässt er sich etwas naheliegender über den Tod seiner Mutter aus. Als Arzt fällt das durchaus in sein Fachgebiet.
Der Schuldige: Klimawandel
Seine Mutter war die erste vom Gericht als Einzelperson akzeptierte Klägerin gegen die «ungenügende Schweizer Klimapolitik». «In den ersten heissen Tagen im Mai 2021 traf sie der Schlag», so Dr. Seidenberg. Wenige Wochen später starb sie.
Der Verdächtige für den Tod der Mutter ist schnell gefunden: der Klimawandel. «What else?», wie George Clooney mit einer Kaffeetasse in der Hand zu fragen pflegte.
Machen wir den Faktencheck. Die Quelle ist so offiziell wie unverdächtig: Das Klimabulletin von Meteoschweiz.
Bereits der einleitende Abschnitt setzt den Ton: «Im Jahr 2021 waren in der Schweiz für einmal nicht hohe Temperaturen, sondern der viele Niederschlag das bestimmenden Wetterelement. Nach einem milden und niederschlagsreichen Winter mit lokal grossen Schneefällen folgte ein nasser Frühling mit nassem Ende. Der Sommer war nördlich der Alpen einer der nassesten seit Messbeginn.»
Weiter geht es in ähnlichem Ton: «Die Schweiz erlebte den kältesten Frühling seit über 30 Jahren mit einem landesweiten Mittel von 1,1 Grad Celsius unter der Norm 1981-2010. Nach einem leicht überdurchschnittlichen März kam die Kälte in den Monaten April und Mai. Der April war landesweit der kälteste der letzten 20 Jahre. Die Maitemperatur blieb landesweit gemittelt 2,3 Grad Celsius unter der Norm 1981-2010. In den letzten 30 Jahren zeigten sich nur die Maimonate 2019 und 2013 ebenso kühl.»
Hitzetod im Regensommer
«Nasser Sommer: Auf der Alpennordseite brachte der Sommer nach einem regenreichen Mai gebietsweise den nassesten Juni und den nassesten Juli seit Messbeginn.» Seit Messbeginn!
Immerhin, etwas Sonne gab es auch noch: «Zur Sommerwärme hat vor allem der schweizweit viertwärmste Juni beigetragen.» Diesem ist zu verdanken, dass dass die Sommertemperatur wenigstens noch um 0,5 Grad über der Norm 1981-2010 lag.
Ein Hitzesommer sieht jedoch definitiv anders aus. Offenbar hatte ausgerechnet eine heisse Periode im Juni 2021 der Mutter von Dr. Seidenberg zugesetzt. Das ist unglücklich — aber irgendwann muss es ja auch heiss sein, wenn Juli und August schon kalt und regnerisch sind.
Dennoch sinniert Dr. Seidenberg, ob er seiner Mutter «in den ersten heissen Tagen im Mai [hätte] Blut abnehmen sollen, um ihre Austrocknung zu beweisen». Doch sieht er selber ein: «Eine individuelle Beweisführung bis zur Schuld der Schweizer Behörden am Tod meiner Mutter war nicht möglich.»
Damit hat er durchaus recht — allerdings anders als von ihm selbst gedacht. Der Klimawandel ist bekanntlich ein globales Phänomen: Die schweizerische Regierung hat vielleicht die Möglichkeit, darauf hinzuwirken, dass global etwas gegen den Klimawandel getan wird — verhindern kann sie ihn jedoch nicht eigenhändig.
Schuld ist immer der andere
Hier eine Schuld der «Schweizer Behörden» zu insinuieren ist so unsinnig wie faktenwidrig. Wenn ein Fussgänger von einem Auto überfahren wird, dann ist auch nicht das Strassenverkehrsamt schuld, welches das Auto zugelassen hat.
Klar, gäbe es überhaupt keine Zulassungen von Autos mehr, gäbe es auch keine Verkehrsunfälle mit PKWs mehr. Doch genauso gut könnte die Regierung sämtliche Bäume fällen lassen, weil jemand von einem herabfallenden Ast erschlagen werden könnte.
Sollte der Ukraine-Krieg tatsächlich in einen Atomkrieg ausarten, dann trifft auch die schweizerischen Behörden eine gewisse Mitschuld daran: schliesslich hätte man sich noch intensiver für eine Friedenslösung engagieren können. Aber zu behaupten, die schweizerischen Behörden seien schuld an einem Atomkrieg ist genau so verwegen, wie zu behaupten, dass sie am Klimawandel schuld sei.
Und was ist von den Klimaseniorinnen zu halten, welche gemäss Dr. Seidenberg «verspottet und als vertrottelte, manipulierte Greisinnen dargestellt» wurden?
Klimaseniorinnen gebärden sich wie Teenager
Was die Manipulation anbelangt: Der «Verein Klimaseniorinnen» hat seinen Sitz an derselben Adresse wie der Hauptsitz von Greenpeace Schweiz, nämlich an der Badenerstrasse 171 in Zürich. Ein wasserdichtes Alibi sieht definitiv anders aus.
Und auch sonst präsentiert sich Angelegenheit reichlich infantil: Wer hat denn all das CO2 in die Luft geblasen? Die Jungen oder die ältere Generation? Die Antwort ist schnell gegeben: Die ältere Generation, und dabei insbesondere die Seniorinnen, weil die ja noch länger leben und entsprechend mehr Klimagase ausstossen als die Senioren.
Tatsächlich erinnern diese «Klimaseniorinnen» an eine Horde Teenager, welche sich ins Koma saufen — und sich am nächsten Tag darüber aufregen, dass es im Zimmer nach Kotze stinkt.
Und Mami — pardon: die Behörden — sollen den selber produzierten Dreck dann gefälligst wegputzen. Mehr Anspruchshaltung geht kaum!
Stichwort Teenager: Der Tages-Anzeiger wird mit solchen Artikeln immer mehr zur «Bravo». Auch nur der Versuch eines Faktenchecks? Fehlanzeige, solange bloss die Gesinnung stimmt. Im Vergleich dazu ist eine Kolumne von Dr. Sommer in der echten «Bravo» geradezu eine wissenschaftliche Abhandlung.

