
Leserbrief zur Abstimmung zum assistierten Suizid
Liebe Walliserinnen und Waliser
Sie entscheiden am nächsten Wochenende darüber, ob Walliser Alters- und Pflegeheime gezwungen werden, assistierten Suizid in ihren Räumlichkeiten zuzulassen. Als gesamtschweizerische Ärzteorganisation, die sich seit Jahren mit ethischen Fragen in Medizin und Gesellschaft befasst, möchten wir Ihnen Folgendes zu bedenken geben:
Die Befunde aus der Forschung über den Menschen und seine Entwicklung, speziell aus Suizidforschung und Suizidprävention zeigen, dass Suizid keine autonome, selbstbestimmte Entscheidung ist. Das gilt auch für den assistierten Suizid. Menschen wollen sich nicht töten, sondern sie wollen in einer Lebenskrise nicht mehr «so» weiterleben. Gründe sind bei alten Menschen vor allem Einsamkeit, Angst vor Abhängigkeit oder Schmerzen, Angst, anderen zur Last zu fallen aber auch depressive Stimmungen.
Der Mensch als soziales Wesen trifft seine Entscheidungen immer in Beziehung zu anderen Menschen, dies bis zum letzten Augenblick. Auch die Entscheidung für oder gegen einen Suizid hängt oft davon ab, wie die Menschen im Umfeld, wie die grössere Gemeinschaft und die öffentliche Meinung reagiert. Bietet sie Hilfe zu einem besseren Leben bis zu einem natürlichen Tod in Würde an, so tritt der Wunsch sich umzubringen in den Hintergrund.
Alters- und Pflegeheime, in denen unsere Grosseltern einen friedlichen Lebensabend verbringen wollen, dazu zu zwingen, organisierte Selbst-Tötungen auch gegen die eigene Überzeugung und Kultur der Trägerschaft dulden zu müssen, widersprechen nicht nur dem schweizerischen Selbstverständnis von Freiheit. Angehörige oder Betreuende, die einen assistierten Suizid miterleben, direkt oder indirekt, sind häufig nachher traumatisiert. Wenn der assistierte Suizid als möglichen Weg zugelassen wird, so verändert das auch unsere Gesellschaft. In den letzten 10 Jahren hat in der Schweiz der assistierte Suizid um 350% zugenommen.
Die Chancen, dass sich Menschen mit Suizidgedanken wieder dem Leben zuwenden, sind sehr hoch; aber nur, wenn wir ihnen helfen, ihr Leben so zu gestalten, dass sie «so» wieder gerne weiterleben. Soll denn wirklich Suizid die Lösung von medizinischen und menschlichen Problemen im Alter werden?
Hippokratische Gesellschaft Schweiz
Raimund Klesse, Präsident