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Asyl für afghanische Frauen

Asyl für afghanische Frauen

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Ein Kommentar von Thomas Baumann

Die Weltwoche hat enthüllt: Weiblichen Asylbewerbern aus Afghanistan soll automatisch der Flüchtlingsstatus zuerkannt werden. Dies sorgte vor allem auf rechter politischer Seite für Kritik.

Es besteht kein Zweifel: Die Situation der Frauen in Afghanistan ist katastrophal. Kein Recht auf Bildung, kein Recht zu arbeiten – dies ruiniert nicht bloss die Zukunft der Hälfte der Bevölkerung, sondern auch die des ganzen Landes.

Die herrschenden Taliban übertreffen sich dabei mit immer härteren Massnahmen: Frauen ist nicht nur Bildung und Arbeit untersagt, sondern auch der Besuch von Bädern, Fitnessstudios, Parks, Friseur- und Schönheitssalons und neu auch des Nationalparks Band-e-Amir. Grund dafür: Besucherinnen des Parks hielten sich nicht an die korrekte Trageweise des Hijabs – so berichtet es die Schweizerische Flüchtlingshilfe.

Bloss: Diskriminierung und Einschränkungen der Lebensgestaltung an sich sind noch kein Asylgrund — selbst dann nicht, wenn sie die Zukunft eines Menschen ruinieren. Asyl soll vielmehr an Leib und Leben bedrohten Menschen Schutz gewähren. Sind Frauen in Afghanistan aufgrund ihres Geschlechts tatsächlich an Leib und Leben bedroht?

Wenig überzeugende Begründung

Die Begründung des Staatssekretariats für Migration SEM vermag in dieser Beziehung kaum zu überzeugen: „Die zahlreichen Einschränkungen und auferlegten Verhaltensweisen haben gravierende Auswirkungen auf ihre fundamentalen Menschenrechte und schränken ihre Grundrechte massiv ein. Vor diesem Hintergrund können weibliche Asylsuchende aus Afghanistan sowohl als Opfer diskriminierender Gesetzgebung (Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) als auch einer religiös motivierten Verfolgung betrachtet werden, und ihnen ist die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen – sofern keine anderen Verfolgungsmotive gegeben sind.“

Das SEM führt sich hier selbst ad absurdum: Wenn afghanische Frauen als Opfer betrachtet werden können — dann können sie natürlich auch als etwas anderes, z.B. nicht als Opfer, betrachtet werden. Genau das wäre aber ein Grund, von einem Automatismus abzusehen. Soll afghanischen Frauen tatsächlich automatisch die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden, dann sollten sie schon Opfer sein — und nicht bloss als solche betrachtet werden können.

Einschränkung der Lebensgestaltung ist kein Asylgrund

Doch wie gesagt, Einschränkungen der Lebensgestaltung wie z.B. das Verbot von Friseursalons, sind an sich noch kein Fluchtgrund. Man kann auch ohne Friseursalon leben – gar ohne Schulbesuch.

Dennoch kann man sagen, dass Frauen in Afghanistan rechtlich als Leibeigene behandelt werden. Nicht unbedingt als völlig rechtlos — es ist auch in Afghanistan nicht erlaubt, irgendeine fremde Frau auf der Strasse totzuschlagen. Aber doch als Leibeigene ihrer Familien: Sollte eine Frau in Afghanistan gegen ihre Familie klagen wollen, dann dürfte dies kaum jemals von Erfolg gekrönt sein — selbst dann nicht, wenn sie materiell im Recht wäre.

Die Taliban sind aber auch nicht einfach vom Himmel gefallen. Vielmehr verkörpern sie — in vermutlich noch etwas extremerer Ausprägung — eine vorherrschende kulturelle Grundströmung im Land. Eine Grundströmung, welche Frauen allgemein wenig Freiheitsrechte zuerkennt.

Und hier liegt das nächste Problem: In Afghanistan gibt es, wie überall auf der Welt, traditionellere und modernere Familien. Aufgeschlossene Familien werden in Afghanistan ihren weiblichen Familienmitgliedern so viele Freiheitsrechte wie möglich zugestehen — konservativere Familien hingegen nicht.

Doppelte Unterdrückung

Somit unterliegen Frauen in Afghanistan potentiell einem zweistufigen Unterdrückungsmechanismus: Einerseits durch die Taliban und andererseits durch die eigene Familie.

Es ist nun ziemlich offensichtlich, dass Frauen in einer traditionell-konservativen Familie wohl niemals alleine als Flüchtling in die Schweiz kommen werden. Eine Flucht auf eigene Faust ist quasi ausgeschlossen, da Frauen ohne männliche Begleitung in Afghanistan nicht reisen dürfen. Und eine solche Familie würde eine Frau auch nicht von sich aus losschicken, selbst wenn sie als anerkannter Flüchtling später die Familie nachziehen könnte, was für die Familie materiell natürlich interessant wäre.

Es werden also auch hier, wenn schon, bloss Frauen aus aufgeschlosseneren Familien kommen, denen die Familie die Möglichkeit gibt, als Asylbewerberin in die Schweiz zu reisen. Also Frauen, welche schon bisher für afghanische Verhältnisse relativ mehr Freiheitsrechte genossen. Für die Frauen, denen es wirklich schlecht geht, welche sowohl vom Staat wie von der eigenen Familie unterdrückt werden, gilt hingegen: Aus den Augen, aus dem Sinn.

Hier werden also tatsächlich, wie die SVP so gern betont, die Falschen kommen: Nicht die besonders Unterdrückten, sondern die für afghanische Verhältnisse „Privilegierten“.

Asylgewährung ist gerechtfertigt

Doch wie steht es mit dem Faktor „Leibeigenschaft“ — ist de facto Leibeigenschaft ein Asylgrund? Hier helfen die Zahlen einer anderen Flüchtlingsgruppe — der Eritreer.

Eritreer sind quasi Leibeigene des Staates. Der obligatorische Militärdienst in Eritrea dauert offiziell zwar nur 18 Monate, doch oft werden Eingezogene auch nach Jahren oder gar Jahrzehnten nicht entlassen.

Afghanische Frauen sind also von Rechts wegen quasi Leibeigene der eigenen Familie — und Eritreer Leibeigene der eigenen Regierung. Tatsächlich wird Eritreern überproportional oft die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt: 29’835 von 76’195 anerkannten Flüchtlingen (Stand 2022) waren Eritreer, 4’254 Afghanen. Umgekehrt bei den vorläufig Aufgenommenen: 12’176 der insgesamt 44’779 vorläufig Aufgenommenen waren afghanische Staatsangehörige — gegenüber „nur“ 8’673 Eritreern.

Eritreer haben also eine deutlich höhere Asyl-Anerkennungsquote als andere Nationalitäten. Dies dürfte mit ihrem Status als Leibeigene der eigenen Regierung zusammenhängen. Insofern ist es nicht ungerechtfertigt, Frauen aus Afghanistan, welche unter einer ähnlichen Freiheitseinschränkungen leiden, dieselbe Behandlung angedeihen zu lassen — selbst wenn auch hier, wie meist im Asylprozess, eben gerade nicht die besonders Notleidenden Schutz und Hilfe erhalten.

(Beitragsbild: Landschaft in Afghanistan)

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