
Arme Journalisten
Eine Kolumne von Thomas Baumann
Der Journalist ist der prototypische Versager: Das sieht man daran, dass es sein Job ist, über berühmte Leute zu berichten. Wäre er selber berühmt, dann würde auch über ihn berichtet – so aber ist jeder Bericht, den er verfasst, eine Erinnerung dran, es selber nicht geschafft zu haben: Immer noch hinter und nicht vor der Kamera.
Vermutlich gibt es aus diesem Grund derart viele Journalistenpreise – schliesslich war Selbstbeweihräucherung schon immer ein patentes Rezept gegen gekränkte Egos. Aber mehr als ein Pflaster ist das nicht – der Stachel des Ressentiments sitzt tief.
Letzte Woche wurde der Fussballspieler Breel Embolo wegen Drohnung, einem Delikt, das er vor fünf Jahren begangen hat, zu einer bedingten Geldstrafe von 45 Tagessätzen verurteilt. So etwas kommt schon mal vor.
Doch dann tat er etwas, was das Ressentiment der Journaille überkochen liess: Er fotografierte die Fotografenmeute, welche mit gezückten Kameras vor dem Gericht auf ihn wartete, selber und schrieb dazu ironisch: „Super Arbeit wieder mal“.
Schon das war falsch: Ein angeblich dummer Fussballer schreibt einen Satz ganz ohne Rechtschreibfehler. Wo kommen wir denn da hin? Vor allem, da in hiesigen Presseerzeugnissen gefühlt jeder zweite Satz grammatikalisch schief in der Landschaft steht.
Und dann schaffte er es gar noch, einen englischen Satz fehlerlos abzutippen. Etwas, was man bei einem heutigen Durchschnittsjourni nicht mehr einfach so voraussetzen kann.
Aber weil er dabei die Journaille auch mit dem Begriff „M………..“ („Motherfucker“) bedachte, hatte diese damit natürlich den perfekten Vorwand, um auf ihn loszugehen.
Wer kanzelt jemand anderen nicht gerne vom hohen Ross aus ab – und noch viel lieber vom hohen Gipfel eines Berges aus Ressentiments! Da kann man endlich einmal alles rauslassen, was sich in einem Berufsleben an Frust über die eigene Bedeutungslosigkeit so aufgestaut hat,
Das biblische „Richte nicht, auf dass du nicht gerichtet wirst“ ist da weit weg, mit Gusto wird gerichtet, als wäre man nicht irgendein unbedeutender Redaktor, sondern Herrgott, Heiliger Geist und Antichrist in Personalunion.
Keinesfalls strafmildernd dabei das soziale Engagement von Breel Embolo für Kinder im Rahmen seiner Stiftung: Wo Vernichtung angesagt ist, gibt es kein Halten. Zumindest bis der Betreffende vor einem selbst im Staube zu Kreuze kriecht.
Also richtete Ueli Kägi im „Tagesanzeiger“: „Wie viel darf sich ein Fussball-Nationalspieler abseits des Rasens erlauben, bis sich die Frage stellt: Soll dieser Fussball-Nationalspieler auch in Zukunft noch Fussball-Nationalspieler sein?“

Natürlich amtiert der journalistische Richter und Henker im Nebenamt auch noch als Fussball-Nationaltrainer. Versteht sich ja eigentlich von selbst. Universalgenie eben.
Darauf zählt er ein paar weitere Dinge auf, welche sich Embolo noch im Teenager-Alter habe zu schulden kommen lassen – ist sich aber nicht zu blöde, auch einen Vorfall vor sechs Monaten anzuführen, wo offenbar jemand ins Auto von Breel Embolo gefahren ist. Das ist natürlich ein sehr schweres Verbrechen, jemanden einfach so in sein Auto fahren zu lassen!
„Aber jetzt kommt diese Woche dieser Prozess. Es geht um einen Vorfall vor fünf Jahren […] Vielleicht wäre auch diese Geschichte fast geräuschlos an Embolo vorbeigegangen. Es hätte sich vielleicht wegreden lassen. […] Doch diese Geschichte endet anders.“
Wie anders? Embolo beschimpfte Journalisten! Majestätsbeleidigung! Also fällt ihre Majestät, der Tagesanzeiger-Journalist, sein Urteil: Embolo spiele „nun auch im Nationalteam auf Bewährung“.
Zum Schluss offeriert uns der Journalist noch eine psychologische Charakteranalyse: Embolo „offenbart jetzt eine Attitüde, die nicht weit weg ist vom doofen, aber wohl doch nicht bei allen frei erfundenen Fussballer-Klischee, das allerdings auch auf andere Personen in anderen Bereichen des Lebens zutrifft: jung, zu viel Geld, selbstherrlich, ohne Gespür für Grenzen.“
Für jemanden, der den ganzen Tag in den engen Grenzen eines lauten Newsraums verbringt, muss ein Leben ohne „Gespür für Grenzen“ tatsächlich wie ein Affront wirken. Folgerichtig geht es ihm auch gar nicht mehr bloss um den Fussballer Embolo, sondern um alle Menschen, welche jung und reich sind – und in ihrem Leben Grenzen überschreiten. Aus solchen Worte spricht nichts anderes als Frust, Ressentiment und letztlich auch Verzweiflung über die eigene kümmerliche Existenz, den eigenen gescheiterten Lebensentwurf.
Von der kuriosen Denke der Journalisten schien auch das Gericht infiziert zu sein – zumindest wenn man der Berichterstattung von „20 Minuten“ Glauben schenken darf. So schrieb „20 Minuten“: „Für das Gericht spielt es dabei auch keine Rolle, dass der exakte Wortlaut der Drohungen von den Zeuginnen nicht habe bestätigt werden können. Dass Drohungen ausgestossen wurden, darüber bestehe Konsens.“ Schöne Zeugen, so etwas! Vielleicht sollten Leute die sich um 5 Uhr morgens in Innenstädten herumtreiben, aufgrund eines zu vermutenden Übermasses an chemischen Substanzen im Denkorgan überhaupt nicht als Zeugen zugelassen werden.
Unfrei humorvoll auch eine weitere Szene aus dem Gericht: Breel Embolo habe „mit seinem Ausruf «Weisst du, wer ich bin» seine gesellschaftliche Stellung missbraucht. Der Grund? «Verletzter Stolz», kommt Giovannone zum Schluss.“ (Giovannone ist die Richterin.) Ganz abgesehen davon, dass psychologischen Deutungen von dazu nicht qualifizierten Personen immer etwas Lächerliches anhaftet: „Gesellschaftliche Stellung missbraucht“? Will uns die Richterin hier etwa verulken?
Zur Ehrenrettung der Richterin kann man tatsächlich nur hoffen, dass die Zeitung ihre Ausführungen nicht korrekt wiedergegeben hat. Sonst müsste man zur allgemeinen Überraschung davon ausgehen, dass es in diesem eher misslungenen Theaterstück tatsächlich der Fussballspieler ist, der die Rolle der Intelligenzbestie besetzt.
