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Demütigung für die Staatsanwälte: Obergericht hebt Urteil im Fall Vincenz auf

Demütigung für die Staatsanwälte: Obergericht hebt Urteil im Fall Vincenz auf

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Auch die Raiffeisen-Gruppen im Wallis gerieten in den Strudel um Pierin Vincenz. Nun geht alles im Vincenz-Prozeß nochmals zurück auf Feld 1.
Unverständliche Verfügungen von Behörden, unverständliche Anklageschriften von Staatsanwaltschften, so etwas kann bei Letzterem dazu führen, daß ganze Urteile nachträglich aufgehoben werden.
Das Obergericht hat via Rückweisungsbeschluß das Urteil im Fall Vincenz aufgehoben. Es lägen schwere, „nicht heilbare“ Mängel vor. Die Anklage genüge der Schweizerischen Strafprozeßordnung nicht.

Denn die Anklageschrift von 356 Seiten sei zu lang und zu ausschweifend und plauderhaft gewesen.

Staatsanwalt Jean-Richard und seine Mitarbeiter hätten etwa im „Sachverhalt Investnet auf fast 60 Seiten in einer Art Plädoyer eine Geschichte“ erzählt, „ohne daß dem Leser klar werde, welcher Teil davon ein strafbares Verhalten darstellen solle“.

Die Anklageschrift sei das zentrale Dokument im Strafprozeß.

So müsse „die beschuldigte Person unter dem Gesichtspunkt der Informationsfunktion aus der Anklage ersehen können, wessen sie angeklagt“ ist, so das Obergericht.

„Dies kann nicht nur eine zu knapp gehaltene, sondern auch eine ausschweifende Anklageschrift verunmöglichen“, so weiter.  Die Anklageschrift sprenge „mit ihrem Detaillierungsgrad den gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen augenscheinlich bei weitem“, so die Oberrichter, was auch kein gutes Licht auf die Vorinstanz wirft, denn diese hatte dies offenbar nicht moniert. Möglicherweise weil sie aus pragmatischen Gründen die Verjährung einiger Anklagepunkte verhindern wollte, aber das ist Spekulation.

Stéphane Barbier-Mueller hätte Anklage auf Französisch vorgelegt werden müssen

Einem Genfer Beschuldigten Stéphane Barbier-Mueller sei das rechtliche Gehör nicht gewährt worden, indem die Anklage nur auf Deutsch zur Verfügung gestellt wurde, so bemängelt das Obergericht weiter. Ein fairer Prozeß sei ihm nicht gewährt worden.

Ein Angeklagter müsse „den Inhalt der Anklage im Detail kennen und sich damit eingehend befassen können“, so das Obergericht. Denn auch, wenn der Beschuldigte zwei deutschsprachige Anwälte hatte, könne er nur bei Verstehen und Kenntnis der Vorwürfe seinen Anwälten richtige Instruktionen geben.

Vorverurteilungen in der Anklageschrift

Auch hat die Staatsanwaltschaft III für Wirtschaftsdelikte beim Aufbau der Anklage gepatzt und war auch hier zu ausschweifend: „Rechtliche Erörterungen gehören wie gesagt nicht in die Anklage“, so die Oberrichter.

Der Grund, ist, daß eine Anklageschrift noch keine weitreichenden Interpretationen und rechtliche Würdigungen enthalten solle. Dies könne die Richter beeinflussen und zu einer Art Vorverurteilung führen. Hingegen soll die Anklageschrift den Sachverhalt nüchtern (und nicht wertend) darlegen, namentlich, gegen welche Gesetze die Beschuldigten verstoßen haben.
Das Urteil zu fällen ist nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, sondern des Gerichts. Daher gehören in eine Anklageschrift keine ausschweifenden Bewertungen und (Vor)-Verurteilungen gegen die Beschuldigten.

Hohe Entschädigungen

Die Angeklagten wie Pierin Vincenz, Beat Stocker und die anderen weniger prominent bekannten Angeklagten erhalten nun für ihre Auslagen in der zurückgewiesenen Prozeßinstanz hunderttausende Franken Entschädigungen.

Was bedeutet die Aufhebung des Urteils?

Die Rückweisung des Urteils der Vorinstanz bedeutet keineswegs einen Freispruch.
Die Staatsanwaltschaft muß nun eine neue Anklage erheben, die dem geltenden Recht entspricht.
Das jetzige Urteil ist demnach zuallererst einmal eine große Blamage für die Zürcher Justiz. Aber es zeigt auch, daß der Rechtsstaat in Zürich zumindest eine Instanz weiter funktioniert und die Urteile der Kollegen von der mächtigen Staatsanwaltschaft III für Wirtschaftsdelikte zurückgewiesen wurden.
Die Belastung für die Beschuldigten für die es nun einige Jahre längern dauern dürfte, bis sie wissen, ob sie ins Gefängnis müssen oder nicht, wird wahrscheinlich dazu führen, daß sie in das nächste Urteil mildernd einfließt.

Recht ist nicht gleich Recht

Derweil wird davon gesprochen, daß Recht nicht gleich Recht ist. Nur Leute, die sich teure Anwälte leisten können können sich gegen unverständliche Anklageschriften wehren.

Wie heißt es doch so schön: Vor Gericht sind alle gleich, die Armen arm, die Reichen reich.

(rm)
(Archivbild)

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