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Die Verführung der Höhe
Digitale Heldenbilder im Bergtourismus: Das Matterhorn als KulisseDie Verführung der Höhe

Digitale Heldenbilder im Bergtourismus: Das Matterhorn als Kulisse

Die Verführung der Höhe
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Eine Kolumne von Yannick Ziehli

Immer mehr Menschen lassen sich durch Social Media zum Bergsteigen verführen und werden mit einer Illusion konfrontiert. Wie digitale Heldenbilder den Alpinismus verändern und warum Respekt am Berg wieder zur Tugend werden muss.

Anjan Truffer, Bergführer und Rettungschef der Air Zermatt, befindet sich für NZZ Format auf dem Matterhorn und beobachtet stoisch zwei Bergsteiger, die sich unterhalb des Solvaybiwaks abseits der eigentlichen Route bewegen. Gut und stark fühlen sie sich, antworten sie ihm. Er rät ihnen dennoch umzukehren, denn es sei zu spät und zu gefährlich für das Erklimmen des Gipfels. Schlechtes Wetter sei im Anzug. Die Nuance zwischen der Erfahrung des Bergführers und dem Enthusiasmus der Amateure ist irritierend. Wer die Berge kennt, weiss, dass man besser auf einen «Local Guide» als auf die eigene Euphorie hört. Viele verlieren in grosser Höhe nicht nur Sauerstoff, sondern auch die Demut.

Zwischen Gipfel und Illusion

Es häufen sich die Unfälle in den Schweizer Alpen. Truffer sagt selbst, dass das Aufkommen von Social Media eine entscheidende Rolle spielt. Dort, wo Profialpinisten ihre atemberaubenden Bilder teilen, entsteht ein gefährlicher Traum, den viele nachzuleben versuchen, ohne das Unsichtbare hinter den Aufnahmen zu erkennen. Die jahrelange Erfahrung, die akribische Planung und die vielen abgebrochenen Touren sind auf den Bildern nicht sichtbar. In der NZZ-Doku ruft eine Person auf der Hörnlihütte an und fragt, ob man das Matterhorn mit einem Klettersteigset besteigen könne. Diese Szene reicht aus, um das Ausmass des Problems zu verstehen. Der Hüttenwart rät entschieden ab, doch der Anrufer scheint unerschütterlich. Die Illusion des Machbaren ist stärker als die Realität der Gefahr.

Das Matterhorn als Kulisse

Ende September veröffentlichte der ehemalige Profikletterer Magnus Midtbø ein Video seiner Solo-Besteigung des Matterhorns. Im Vorspann erwähnt er bereits, dass Alpinismus nichts mit Sportklettern gemein hat – und er eben kein Alpinist sei. Er ist bekannt dafür, aus seiner Komfortzone zu gehen und begeistert somit ein Millionenpublikum. Er erklimmt das Matterhorn bei seinem Versuch. Und er macht es gar nicht mal so schlecht. Dieser Eindruck trügt aber das wahre Bild der Gefährlichkeit solcher Touren und zollt dem Sport, dem Berg und der Natur nicht den nötigen Respekt. Dafür erntet er auf seinem Kanal auch Kritik. Denn was bleibt, ist ein ästhetisches Fragment, kein Abbild der Wirklichkeit. Dass Midtbø zum ersten Mal Steigeisen trägt und den Pickel kaum zu führen weiss, scheint nebensächlich. Das Seil, das er mitführt, bleibt unbenutzt.

Zwischen Klicks und Kälte

Die Wahrheit ist nicht mehr das, was geschieht, sondern das, was geteilt wird. Die Fiktion ersetzt die Erfahrung und das «Liken» das Lernen. In dieser digitalen Spiegelwelt verliert der Berg seinen Charakter als Naturgewalt, wird zur Bühne und verkommt zu einem scheinbar banalen Ausflug. Doch der Berg verlangt Haltung, keine Pose. Er will keine Zuschauer, sondern Menschen, die bereit sind, ihn zu verstehen. Respekt ist hier kein romantisches Wort, sondern ein Überlebensprinzip. Der Berg ist der Ort, an dem der Mensch sich prüft. Nicht in der Öffentlichkeit, sondern im Schweigen. Dort oben ist kein Publikum und so soll es auch bleiben.

Truffer meint im NZZ Format, dass alle Personen, die das Matterhorn besteigen wollen, einen Bergführer nehmen sollten. Zumindest alle, die via Social Media auf die Idee kamen, einen Berg wie das Matterhorn zu besteigen. Vielleicht gilt die Einschätzung des Bergretters längst über die Berge hinaus. Denn in einer Welt, in der alle Wege kartiert, gefilmt und geteilt werden, ist der wahre Aufstieg vielleicht jener, bei dem man keine Kamera dabeihat.

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