Fall Föderl-Schmid: Tagesanzeiger übt sich im Kampf gegen Windmühlen
Ein Kommentar von Thomas Baumann
Andere an den Pranger stellen tun Journalisten gerne. Werden sie hingegen selber an den Pranger gestellt, übt man sich im Wehklagen — oder geht gleich zum Gegenangriff über.
So geschehen im Fall des Plagiatsjägers Stefan Weber. Vor einem Jahr veröffentlichte der ‹Tages-Anzeiger› noch ein sehr freundliches Porträt über ihn.
Tempi passati. In der Zwischenzeit hat sich besagter Plagiatsjäger nämlich die Schreibe der bekannten Journalistin Alexandra Föderl-Schmid vorgenommen — und ist offenbar fündig geworden.
Die Journalistin und stellvertretende Chefredaktorin der ‹Süddeutschen Zeitung› ‹antwortete› mit einem Selbstmordversuch. Ironie des Schicksals: Die ehemalige Israel-Korrespondentin Föderl-Schmid versuchte ihrem Leben ausgerechnet in Braunau am Inn ein Ende zu setzen. Das war dann offenbar selbst den Göttern zu viel der Ironie und so liessen sie das Unterfangen scheitern.
Meinungsdiarrhö…
Darauf hielt die Chefredaktorin des ‹Tages-Anzeigers›, Raphaela Birrer eine Philippika: Unter dem Titel «Hetzjagd auf eine Journalistin» diagnostizierte sie eine «Meinungsdiarrhoe». Damit meinte sie selbstverständlich nicht ihren Text, welchem sie selber mit dem gepflegten Attribut «Analyse» schmückte.
Um ‹Meinungsdiarrhö› handelte es sich dabei aber durchaus. So doziert sie: «Weber fertigt gegen Geld Gutachten zu akademischen Arbeiten an. Das Geschäftsmodell dürfte einträglich sein.» Zahlen? Erfolgsrechnung? Belege? Fehlanzeige!
Stattdessen: Einfach mal ein wenig dreckeln, einfach mal ein wenig insinuieren, einfach mal anderen unmoralische Geldgier unterstellen. Man kann davon ausgehen, dass Raphaela Birrer als Referentin einen höheren Stundenlohn kassieren würde als Stefan Weber für seine Arbeit derzeit kassiert.
Weiter in Ton: «Häufig erfolgen seine Anschuldigungen allerdings zu Unrecht.» Schön, «häufig» ist allerdings ein dehnbarer Begriff: Drei mal von einer Schlange gebissen zu werden, ist schon relativ häufig, dreimal im Leben Croissants zu kaufen allerdings eher weniger. Auch hier: Zahlen Fehlanzeige. «Häufig» kann alles und nichts bedeuten.
… und eine Prise Verschwörungstheorie
Fehlt es schon am Zahlen oder substantiierten Belegen, dann darf auch eine Prise Verschwörungstheorie nicht fehlen: «Es geht um politische Motive, Rachefeldzüge, Rufmord.». Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Warum? Das wären eigentlich die Fragen, welche ein journalistischer Bericht beantworten müsste — könnte man meinen. Auch hier: Nichts davon. Wer welche politischen Motive hat, erfährt man mit keiner Silbe.
Vor einem Monat echauffierte sich die Chefredaktorin, drei Wochen später legt die Redaktion nach und titelt in martialischer Manier: «Jetzt gerät der Plagiatsjäger selber ins Visier».
Rechercheure wie Stefan Weber stünden unter Druck weiss das Blatt und fragt rhetorisch, bereits im Lead: «Geht es um die Wissenschaft — oder um Kalkül und Geld?» Man kennt sie nur zu gut, diese Fragen, welche letztlich keine Fragen sind, sondern vielmehr eine erste Duftmarke setzen wollen.
Insinuieren kommt vor Studieren
Und da ist es auch schon wieder: Das Motiv des geldgierigen Stefan Weber. Einfach mal ein wenig insinuieren.
Weiter im Text: «Doch nun gerät Weber selbst in den Fokus, während die Plagiatsdebatte im deutschsprachigen Raum [sic!] seit einigen Wochen eine andere Tonalität annimmt. Begriffe wie ‹Hetzjagd› oder ‹Auftragsrufmord› fallen.»
Wer? Was? Wann? Wo? Wer hat was wann wo gesagt? Da hilft das Blatt nicht weiter, da muss man schon selber suchen. Man findet: Den ‹Tages-Anzeiger›, Schweiz (deutschsprachiger Raum!). Seines Zeichens Kooperationspartner der ‹Süddeutschen Zeitung›. Also nicht ganz frei von Eigeninteressen.
Man findet: Den ‹Standard›, Österreich (deutschsprachiger Raum!). Dort während 27 Jahren tätig, zuletzt während zehn Jahren als Chefredaktorin und während fünf Jahren als Co-Herausgeberin: Alexandra Föderl-Schmid. Auch nicht unbedingt die erste Adresse, um in dieser Frage eine Berichterstattung frei von Voreingenommenheit zu entdecken.
Gibt’s kein Problem, schreibt man halt eins herbei
Daneben nur noch österreichische Medien, welche den ‹Presseclub Concordia› und das ‹Frauennetzwerk Medien› (mutmasslich beide in Österreich) zitieren, welche von einer «unvergleichlichen und durch nichts zu rechtfertigen Hetzjagd» sprachen.
Man kann das durchaus zitieren — aber damit lässt sich noch keine «andere Tonalität» im Diskurs belegen. Der Diskurs wird quasi ausschliesslich von Medien — dem ‹Tages-Anzeiger› in der Schweiz und dem ‹Standard› in Österreich — getragen, welche bezüglich Föderl-Schmid selbst nicht ganz frei von Eigeninteresse sind. Sonst wehe kaum ein Lüftchen durch den Pressewald.
Selber ein Problem herbeischreiben und dann so tun, als hätte sich «die Tonalität» des Diskurses geändert, ist wohl der älteste journalistische Trick. Auf den Terminus «deutschsprachiger Raum» als Euphemismus für die Randgebiete Schweiz und Österreich ohne Deutschland muss man hingegen erst noch kommen.
Immerhin: Auch wenn der neuere Artikel seine ursprüngliche These nicht zu belegen weiss, so ist der Rest des Artikels doch relativ saubere Arbeit, in dem verschiedene Aspekte des Problems beleuchtet werden und verschiedene Stimmen zu Wort kommen.
Also reisserischer Titel und reisserischer Einstieg, aber der Artikel ganz passabel. Was man vom reisserischen Elaborat der Chefredaktorin einige Wochen vorher nicht behaupten kann.

