
Interview Vincent Epiney
Seilbahnlösungen haben grosses Potential für den öffentlichen Verkehr in Städten. In Südamerika sind sie Problemlöser für Verkehrschaos und aus dem Stadtbild nicht mehr weg zu denken. Aber auch in der Schweiz und im Wallis haben sowohl touristische als auch urbane Seilbahnen eine grosse Zukunft, ist der Experte Vincent Epiney überzeugt.
Berge und Skifahren waren immer ein wichtiger Teil von Vincent Epineys Leben. Nach seiner Ausbildung hat es den jetzigen Seilbahnbauer zwar in die Deutschschweiz gezogen, doch immer war dem Vollblutwalliser klar: Ich kehre zurück. Als sich bei Seilbahnbauer Garaventa vor dreissig Jahren die Möglichkeit bot, die Niederlassung in Sion aufzubauen, packte der mittlerweile 58-Jährige zu. Und hat es nie bereut.
Mittlerweile zählt die ursprünglich vierköpfige Walliser Niederlassung je nach Jahreszeit 15 bis 20 Mitarbeitende. «Es ist und war eine intensive, aber auch sehr interessante Zeit», resümiert der Familienvater, dessen positive Ausstrahlung ansteckend ist. Dass der Walliser mit seiner Ausstrahlung und seinem Wissen Erfolg hat, erstaunt nicht, sagen doch Freunde über Vincent, dass er ein wandelndes Wikipedia für Seilbahnen sei.
Im Interview mit der Walliser Zeitung erklärt Epiney, weshalb das Potential für Seilbahnen im Wallis gross ist, weshalb urbane Bahnen die ideale Lösung in Städten ist und wie er seinen Co-Working Space in Grimentz etablieren will.
Vincent Epiney, Sie erzählen begeistert von Ihrem Beruf. Zu Beginn gleich die Frage: Wie steht es um den Nachwuchs im Seilbahngeschäft?
Die Ausbildung von Nachwuchs hat mir immer grosse Freude bereitet. Leider ist es nicht ganz einfach, junge Leute für die Berufe rund um Seilbahnen zu gewinnen, denn die Arbeitszeiten sind unregelmässig und die Arbeit ist anspruchsvoll. Aber wir haben einen wunderschönen Beruf! Wir sind so oft in der Natur und sehen, wie ein Produkt entsteht.
Wie sind Sie selber zu Seilbahnen gekommen?
In meiner Jugend in Grimentz bin ich natürlich mit Bergen und Skisport aufgewachsen. Aus irgendeinem Grund bin ich dann in der Technik gelandet, habe die Mechaniker-Lehre und dann eine Ingenieurschule in Yverdon absolviert.
Sie sagen «aus irgendeinem Grund» – klingt zufällig.
Ja, das war es ursprünglich auch. Meine Familie war eher im Tourismus zuhause und ich habe auch mit dem Job als Bergführer oder etwas Vergleichbarem geliebäugelt, aber dank meiner Arbeit bei Garaventa kann ich beides kombinieren.
Haben Sie Ihren Weg nie bereut?
Ganz und gar nicht. Ich bin ein leidenschaftlicher Seilbahnbauer und der Job macht mir grossen Spass. Dieser Mix von Technik und Tourismus ist das, was ich immer wollte. Hinzu kommt, dass ich Projektarbeit liebe, denn ich brauche ein Ziel – in einem Projekt ist das Ziel klar. Und das Seilbahngeschäft ist fast ausschliesslich projektorientiert. Auch privat verfolge ich immer Projekte, kleinere und grössere.
Haben Sie nie genug vom ständigen Projekt-Druck?
((lacht)) Es gibt so manches Projekt, bei dem ich dachte: So das reicht, das war mein letztes Projekt. Aber nach der Inbetriebsetzung sieht alles wieder anders aus, weil man sich freut über die gelungene Bahn.
Sie verfolgen auch private Projekte: Haben Sie ein Beispiel?
Klar. In Grimentz habe ich zum Beispiel von A bis Z eine Wohnung umgebaut. Ebenfalls in Grimentz habe ich einen Co-Working-Space aufgebaut – in der Corona-Zeit war ich selbst der beste Kunde ((lacht)).
Co-Working in Grimentz – funktioniert das?
Dafür, dass ich noch kein Marketing betrieben habe, funktioniert es ganz gut.
Sie sind also stark verwurzelt im Wallis.
Ja, das ist so, meine Wurzeln liegen in Grimentz. Ich bin auch Verwaltungsrat der Société de Remontées Mécaniques de Grimentz-Zinal SA. Das Wallis, die Berge – das fasziniert mich nach wie vor. Ich bin sehr heimatverbunden.
Dann sind Sie auch Skilehrer oder Bergführer?
Genau. Zu meinem Skilehrerpatent gibt es eine schöne Anekdote: Ich durfte das Walliser Skipatent während meiner Lehre machen. In der dortigen Firma war der Lehrlingsausbildner ein begeisterter Skifahrer und meinte: Vincent, wenn du Zeit brauchst, um zu trainieren, kannst du dir diese nehmen. Die Noten müssen einfach stimmen. Ein absoluter Traumjob als Lehrling – ja, doch, ich hatte wirklich Glück.
Hatten Sie nie den Wunsch, aus dem Tal weg zu gehen?
Nach der Ausbildung habe ich einige Jahre in der Deutschschweiz gearbeitet. Unser erstes Kind ist auch dort geboren. Aber mir war immer klar, dass ich ins Wallis zurückkehre.
Sie arbeiten bei Garaventa, die Firma hat Projekte in der ganzen Welt. Hatten Sie als projektaffiner Mensch nie das Bedürfnis, etwa ein urbanes Projekt in Südamerika zu begleiten?
Doch, das hätte mich sicher gereizt. Aber familientechnisch wäre das mit drei Kindern nicht ideal gewesen. Da hat es mir mehr gereizt, die Garaventa-Niederlassung in Sion aufzubauen. Und eine Seilbahn ist einfach etwas sehr Schönes, egal, ob sie in den Bergen oder in einer Stadt fährt.
«Ob La Paz oder Sion spielt keine Rolle»
Stadtbahnen sind ein interessantes Thema, das auch Sie stark umtreibt.
Das ist richtig. Wir lösen in Städten mit Seilbahnen kostengünstig und mit wenig Aufwand grosse Verkehrsprobleme. In La Paz in Bolivien beispielweise hat die Seilbahn eine enorme Entlastung des Verkehrs gebracht.
Aber das ist Bolivien und nicht die Schweiz …
Das spielt keine Rolle. Denn eine Seilbahn in der Stadt ist hoch-effizient. Die Investitionen sind verglichen etwa mit einer Metro sehr viel kleiner. Man kann sehr schnell bauen. Bei der Arbeit in Berggebieten haben wir jeweils nur einen Sommer Zeit, um die Bahn zu bauen. Wir müssen schnell und effizient sein.
Aber in einer Gondel haben doch viel weniger Leute Platz? Sind da Busse und Trams nicht effizienter?
Im Gegenteil. Bei Gondelbahnen sprechen wir von einer Förderleistung von 4’000 Personen pro Stunde und Richtung. Da brauchen Sie viele Busse, um das hinzubekommen … Seilbahnen sind technisch und gesetzlich problemlos machbar und oft die beste Lösung. Aber wir sind mit diesen Lösungen in den Köpfen der Menschen in der Schweiz noch nicht angekommen. Ich versuche das Ganze in Vorprojekten aufzuzeigen. Für Projekte im Wallis, aber auch in der ganzen Schweiz.
Wie überzeugt man denn die Menschen?
Wenn es um urbane Bahnen geht, frage ich manchmal: Fährst du lieber im Tunnel oder in der Höhe mit Aussicht zur Arbeit? Die Schönheit der Seilbahnen ist ein grosser Vorteil. In La Paz oder Mexico City haben sie das erkannt. Die Stimmung ist in der Seilbahn mit toller Aussicht nicht zu vergleichen mit der Stimmung in der Pariser Metro.
Und in Sachen Personalaufwand?
Der ist auch kleiner. Wir haben ja mit AURO, unserem System für autonome Bahnen, eine hervorragende Lösung für Betrieb mit wenig Personal. Dann geht es vor allem noch um die Sicherheitsüberwachung. Bei herkömmlichem öffentlichem Verkehr ist der Personalaufwand grösser.
Gibt es denn auch im Wallis Projekte, die Sie begeistern?
Absolut. Beispielsweise gibt es eine Bahn von Sion nach Veysonnaz zur Piste de l’Ours. Es ist nicht einfach, die Bewilligung zu erhalten, weil ein Teil der Trasse über Wohngebiet führt. Nach vielen Jahren wird das nun konkret und es gibt eine Plangenehmigung beim BAV. Ich hoffe, dass die Gemeinden die Geduld haben, das weiter zu verfolgen.
Gibt es einen beruflichen Traum?
Oh, ja, den gibt es. Ich würde gerne für den ÖV die Bahn «Gare de Sion – Spital» in Sion bauen. Es gibt eine Trasse, das Projekt ist bekannt und eingegeben, wir haben die Leute sensibilisiert für diese Thematik. Wir müssen die Leute begeistern können.
Das entscheidende Kriterium ist hier erfüllt: Im Seilbahnbau sollte die Strecke eine gewisse Länge haben. Denn die Station kostet bei uns viel, die Strecke wenig. Gare de Sion – Spital wäre lang genug.
Und im alpinen Bereich: Gibt’s noch Potential für neue Bahnen?
Die Berge sind sehr beliebt, ob im Sommer oder im Winter. Das Potential im Wallis ist also weiterhin hoch.
Und Ihre Träume im Leben?
Wir waren als Familie immer sehr präsent im Tourismus, mein Vater hatte zum Beispiel ein Sportgeschäft und war in viele Tourismus-Organisationen tätig. Ein Projekt in diesem Bereich würde mich schon reizen. Und wer weiss: Vielleicht wird ja der Co-Working-Space in Grimentz noch viel erfolgreicher.

Das Interview führte Andreas Bonifazi