
Siri von Zermatt
Ein Kommentar von Thomas Baumann
Die Gemeinde Zermatt pokert hoch: Anstatt das bewährte und preisgekrönte Wertstoff- und Abfallsammlungssystem „Alpenluft“ des bisherigen Anbieters Schwendimann AG aus Münchenbuchsee weiterzubetreiben, möchte die Gemeinde ab 1. Oktober dieses Jahres eine eigene Public-Private-Partnerschaft für die Wertstoff- und Abfallsammlung auf die Beine stellen.
Und wie es beim Pokern eben so ist: Man möchte sich – offenbar – von niemanden in die Karten blicken lassen.
Nachdem die Firma Schwendimann AG während zehn Jahren für die Wertstoff- und Abfallentsorgung des Weltkurorts zuständig gewesen war, wurde der Auftrag im April 2021 ordnungsgemäss für eine weitere Zehnjahresperiode (2022-2032) öffentlich ausgeschrieben. Zum Ende der Angebotsfrist am 18. Juni 2021 lagen dabei zwei fristgerecht eingereichte Angebote vor.
Dennoch beschloss der Gemeinderat am 30. September die Ausschreibung abzubrechen, weil „nach Prüfung der Eignungskriterien und technischen Spezifikationen nur ein gültiges Angebot“ vorlag. Dadurch sei ein wirksamer Wettbewerb nicht garantiert. Dieser Entscheid wurde Schwendimann AG bereits im Oktober 2021 mittels eingeschriebenem Brief mitgeteilt.
Fünf Monate Winterschlaf
Es dauerte aber bis am 7. März dieses Jahres, bis sich die Gemeinde auch gegenüber der Öffentlichkeit äusserte. In einer Medienmitteilung teilte die Gemeinde mit, der Gemeinderat habe „an seiner Sitzung vom 9. Dezember 2021 beschlossen, die öffentliche Ausschreibung dieses Dienstleistungsauftrags abzubrechen und die Realisierung eines Projekts Kreislauf-bewirtschaftung ‚Public Private Partnership (PPP)‘ zu prüfen.“ (https://gemeinde.zermatt.ch/news)
Ein Beschluss, der am 9. Dezember 2021 gefasst und bereits zwei Monate früher an die Direktbetroffenen kommuniziert wurde – da sage mal einer, Zermatt sei seiner Zeit nicht voraus…
Auch der Projektname „Public Private Partnership“ gibt Anlass zum Schmunzeln: Er macht ebensoviele Sinn wie wenn zwei Brüder, die zusammen eine Modelleisenbahn besitzen, diese auf den Namen „Mein Bruder und ich“ taufen würden.
Weniger zu lachen gibt es aber offenbar für die Bevölkerung. Diese wurde – passend zu den kriegerischen Ereignissen Anfang Jahr – bereits auf den Notstand eingeschworen: „Wir danken der Bevölkerung […] für das Verständnis, sollte während unserer Startphase nicht alles auf Anhieb vollständig funktionieren.“ Tatsächlich eine verheissungsvolle Ansage!
Drei Monate später…
Viel besser beherrscht die Gemeinde den Neusprech dann rund drei Monate später: „Diese Umstellung bringt zum Start auch einige Herausforderungen mit sich, bietet aber auch neue Chancen.“ (https://gemeinde.zermatt.ch/abfallbewirtschaftung)
Man beachte: Neue Chancen! Nur: für wen? Für das „Public“ – oder vielmehr für den bzw. die neuen „Private“? Das bleibt, selbstverständlich, ungesagt.
Gleichzeitig informiert die Gemeinde, dass das bestehende Inventar „aufgrund eines überteuerten Angebots des bisherigen Anbieters“ leider nicht übernommen werden konnte. Wieviel Schwendimann AG bzw. die Firma System-Alpenluft dafür verlangte, wollte die Gemeinde aber – selbstverständlich – nicht kommunizieren.
Für die Beschaffung des neuen Infrastrukturmaterials hat die Gemeinde daher bereits einen Kredit von 3.1 Millionen Franken gesprochen, wovon gemäss der Gemeinde bisher Anschaffungen in der Höhe von 2.4 Millionen Franken ausgelöst wurden. „Die Lieferaufträge wurden auf der Webseite der EWG [Einwohnergemeinde Zermatt, die Red.] , sowie im Amtsblatt und SIMAP publiziert und während der Einsprachefrist sind zwei Beschwerden eingereicht worden“, schreibt die Gemeinde weiter.
Eine Recherche auf SIMAP ergab allerdings, dass nur 1 Million in einem freihändigen Verfahren vergeben wurde.
Siri und der Maurermeister
Entsprechend erging eine Anfrage dieser Zeitung zu den fehlenden 1.4 Millionen an den Gemeinderat, spezifisch an den in der Mitteilung als „Ansprechpartner für die Wertstoffbewirtschaftung der EWG“ genannten Ressortvorsteher Anton Lauber, mit folgendem Wortlaut:
„Wo findet man die Lieferaufträge über die übrigen 1.4 Mio. Franken? (Gerne auch auf der Webseite der EWG Zermatt.)
Was bedeutet in diesem Zusammenhang ‚Lieferung‘: Kauf, Miete oder Leasing?
Wie ist die EWG Zermatt ausgerechnet auf den wenig bekannten Lieferanten Webaria AG gekommen?“
Die Antwort darauf: Schweigen. Anton Lauber, von Beruf Maurermeister, scheint seinem Berufsverständnis auch als Gemeinderat treu zu bleiben. Bei der Bewirtschaftung des Wertstoffs Wissen gilt ebenfalls die Devise: Mauern ist besser!
Auf Nachfrage meldete sich zwei Wochen später dann Gemeindepräsidentin Romy Biner-Hauser – dafür mit einer Aussage, die eher an einen Chatbot gemahnt: „Wir haben die Informationen zu dieser Frage auf unserer Webseite aufgeschaltet.“ Überaus hilfreich: Wenn die Frage ist, wo auf der Webseite die Information aufgeschaltet ist, dann hilft die Antwort, dass sie aufgeschaltet seien, wohl kaum weiter.
Die Fragen wurden, selbstverständlich, einmal mehr überhaupt nicht beantwortet. Die gesuchten Informationen fanden sich auch nicht auf der Webseite der Einwohnergemeinde Zermatt, noch auf SIMAP, wie in der Mitteilung der Gemeinde angegeben – aber wenigstens im kantonalen Amtsblatt.
Es war nicht die erste – und vermutlich auch nicht die letzte – Antwort der Gemeindepräsidentin, die an Apples Siri gemahnte.
Sondern hat Methode. So wurde bereits die Frage der Redaktion dieser Zeitung zu einer Medienmitteilung zur Kündigung der Verträge mit der Schwendimann AG von Romy Biner-Hauser wiefolgt „beantwortet“: „Die Antworten auf Ihre Fragen finden Sie direkt in der MM.“
Nicht-Kommunikation anstatt Kommunikation der alleinigen Kommunikationsverantwortlichen der Gemeinde Zermatt, Romy Biner-Hauser. Auf sozialen Plattformen bezeichnet sich die Gemeindepräsidentin dabei als Kommunikationsexpertin bzw. als „PR-Fachfrau“. Was hier geschieht ist jedoch ein Fall für das Lehrbuch, wie man PR-Arbeit auf keinen Fall machen sollte.
„Romy et les Ferrailleurs“
Von Friedrich Nietzsche stammt der Ausspruch: „2000 Meter über Meer und viel höher über allen menschlichen Dingen!“ Von diesem Motto scheint sich auch Zermatt inspirieren zu lassen.
Nietzsche endete bekanntlich im Wahnsinn. Und auch den bisherigen Anbieter Schwendimann AG hat die Gemeinde Zermatt mit ihrer erratischen bzw. über weite Strecken nicht existierenden ‚Kommunikationspolitik‘ schon fast in den Wahnsinn getrieben.
In Zermatt hingegen scheint der ganz normale Wahnsinn Methode zu haben. Man kann für die Einheimischen und die Gäste nur hoffen, dass die neue Abfallentsorgung des Systems „Romy et les Ferrailleurs“ (in Anlehnung an den Film „Max et les Ferrailleurs“ mit Romy Schneider in der Hauptrolle) tatsächlich funktioniert.