
Oberwalliser Parochialismus, Teil 1
Ein Kommentar von Thomas Baumann
Der Walliser Bote regte sich unlängst fürchterlich über die Lonza auf: Weil die Lonza auf die Anfrage seitens des Walliser Boten für ein Interview mit dem Standortleiter des Werks in Visp nicht reagierte, prangte auf der Frontseite in fetten Lettern die Schlagzeile: „Guten Tag, wir würden gerne mit Renzo Cicillini sprechen.“
Jede Wette, würde sich ein liebestoller Freier mit einem ähnlichen Plakat unter das Fenster seiner Angebeteten stellen: Die Polizei wäre umgehend da. In diesem Fall berichtete aber nur die halbe Schweiz über diese scheinbar aufsehenerregende Aktion.
Doch was liest man im Artikel: Der Walliser Bote fragte schriftlich Mitte Dezember 2021 und dann wieder Anfangs Mai 2022, also gut viereinhalb Monate später, um ein Interview an. Dies zeugt nicht gerade von intensivem Nachhaken. Immerhin: Die Rückfrage dieser Zeitung bei Walliser Bote-Chefredaktor Armin Bregy ergab: Dazwischen kam es in der Angelegenheit auch immer wieder zu dem einen oder anderen Telefonanruf.
Wenn der Walliser Bote der Lonza übermässige Zentralisation der Kommunikation am Hauptsitz vorwirft, dann trifft auf Pomona Media, die Herausgeberin des Walliser Boten, das genaue Gegenteil zu: Gemäss dem auf der Frontseite platzierten Kommentar von Armin Bregy bemühten sich der Walliser Bote und das Lokalradio rro „seit Monaten um ein Interview mit den Lonza-Verantwortlichen“. Der Walliser Bote und rro gehören beide zum gleichen Lokal-Konzern, Pomona Media. Das Vorgehen der beiden Medienoutlets wirkt ein bisschen wie der mühsame Nachbar, der, wenn ihm wieder einmal der Zucker oder die Eier ausgehen, immer zuerst seine Frau und dann noch seine Kinder vorbeischickt.
Beim Walliser Boten sind die wirklich wichtigen Dossiers Chefsache. Ein Interview mit dem Standortleiter des wichtigsten Arbeitgebers im Oberwallis würde mit ziemlicher Sicherheit entweder vom Chefredaktor persönlich oder dem publizistischen Leiter geführt. Die gestellten Fragen bewegen sich üblicherweise auf entsprechend gutem Niveau.
Fishing expedition
Davon ist aber in der prominent in der Zeitung ausgebreiteten Klage nicht viel zu merken. Nach dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine wollte der Walliser Bote wissen: Welche Auswirkungen hatte der Ukraine-Krieg auf das Lonza-Werk in Visp? Die Antwort der Lonza schien dabei ziemlich zielführend: Neben dem ausgedrückten Bedauern an die vom Konflikt Betroffenen beobachte man mögliche Auswirkungen auf die globale Lieferkette.
Was soll ein Konzern oder ein Werk denn anderes tun? Denn was im Grossen gilt, kann man ebenso im Kleinen beobachten. Man frage nur einmal einen Bekannten, der in Wertpapieren investiert ist, nach den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs. Er wird Ihnen nicht erzählen, dass er ab sofort nur noch Gold bunkert – sondern eher, dass er die Situation auf der Ebene der einzelnen Investments jederzeit evaluiert, dass er bewusst eine strategische Cash-Reserve hält, usw. Ähnlich wird auch die Lonza handeln: Nicht ausgerechnet jetzt die Vorräte auf Null herunterfahren, in Zeiten der Unsicherheit eher einmal etwas mehr am Lager haben als weniger, die Zahl der Zulieferer diversifizieren, usw. Und vor allem: Jederzeit wachsam sein. Aber sollte die Firma das nicht sowieso sein?
Natürlich wollte der Walliser Bote auch wiederholt etwas zur Strommarktsituation wissen oder zur Gasmangellage. All die jeweils gerade aktuellen journalistischen Modethemen eben. Das Ganze wirkt so, als wären gewisse Junior-Redaktoren auf einer „fishing expedition“: Man stellt ein paar Fragen ins Blaue hinaus und hofft, dass etwas dabei hängenbleibt, womit man Artikel aufmachen könnte.
Kein Wunder, wollte die Lonza kein blosser Lückenfüller für leere Zeitungsseiten sein und verzichtete auf die Beantwortung solcher Fragen.
Wiederholte Nachfragen dieser Zeitung bei den Verantwortlichen des Walliser Boten zum Hintergrund der Fragen haben zu keinen konkreten Resultaten geführt. Chefredaktor Bregy zeigte sich zwar freundlich aber unbestimmt in seinen Antworten. „Die Fragen betreffend der Energiesituation (Elektrizität, Gas)“ seien „für den Standort Visp unserer Meinung nach äusserst relevant. Lonza ist der grösste Arbeitgeber im Oberwallis.“
Ist mit „Standort Visp“ der Lonza-Standort Visp gemeint? Dann ist davon auszugehen, dass die Energiesituation für die Verantwortlichen des Lonza-Werks wohl ebenfalls äussert relevant ist. Kein Standortleiter dürfte so dumm sein, das nicht selbst zu wissen.
Sind hingegen (direkte) Auswirkungen auf die Standortgemeinde gemeint (also nicht indirekte wie Entlassungen), dann sollte auch entsprechend gefragt werden.
Das Ganze einfach pauschal mit dem Argument „Lonza ist der grösste Arbeitgeber im Oberwallis“ zu begründen, zeugt wirklich nicht gerade von vertiefter Denkarbeit.
Denn damit könnte man schlichtweg jede Frage „begründen“.
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