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Wo sonst Stille herrscht, hallten Stimmen, Bilder und Klänge: In Münster wurde Woyzeck zum intimen Kammerspiel
Woyzeck im Wohnzimmer – Experiment zwischen Nähe und WahnsinnWo sonst Stille herrscht, hallten Stimmen, Bilder und Klänge: In Münster wurde Woyzeck zum intimen Kammerspiel

Woyzeck im Wohnzimmer – Experiment zwischen Nähe und Wahnsinn

Wo sonst Stille herrscht, hallten Stimmen, Bilder und Klänge: In Münster wurde Woyzeck zum intimen Kammerspiel
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Von Yannick Ziehli

Woyzeck – das ist ein Stück, das man eher mit grossen Bühnen verbindet, mit Dramatik, Kulissen und Distanz zwischen Akteuren und Publikum. Im Goms war das anders.

Man steht plötzlich in einem Wohnzimmer, eingeladen von Ulrike Mayer-Spohn und Javier Hagen, besser bekannt als das Duo UMS’nJIP.

Ihr Haus in Münster wurde zum Theaterraum. Kein abgehobenes Podium, sondern eine Stube, ausgestattet mit Lautsprechern, Projektionsflächen und einer Handvoll Stühlen für das Publikum.

Schon vor Beginn der Vorstellung stimmte das Duo das Publikum ein über das, was es erwartete. Sie erklärten Zusammenhänge, ohne den Abend vorwegzunehmen.

Es war eine Einladung, einen Faden mitzunehmen in ein Stück, das sich seiner Natur nach gegen eindeutige Erklärungen sperrt. Dieses Vorgefühl war notwendig, denn Woyzeck ist intensiv, manchmal verstörend, aber auch faszinierend.

Stimmen und Bilder verwoben sich zu einer dichten Erfahrung, die sich zwischen den Fragmenten von Georg Büchners Text und der experimentellen Klangwelt von UMS’nJIP abspielte.

Figuren erhielten Symbole: der Hauptmann einen Schnurrbart, Marie ein Herz, Woyzeck selbst die Schachfigur des Bauern. So konnte man ihnen folgen, auch wenn die Stimmen verfremdet und in den Raum geworfen wurden.

Nur bei Woyzeck veränderte sich die Stimme mit fortschreitendem Wahn. Aus klaren Sätzen wurden Bruchstücke, Gedankenfetzen, die im Chaos endeten.

Die Inszenierung war mehr als Theater. Klangflächen aus Elektronik, visuelle Projektionen, dissonante Momente und plötzlich aufblitzende Harmonien schufen eine dichte Atmosphäre.

Als draussen ein Gewitter aufzog und Donner in die Stube drang, verstärkte sich der Eindruck, dass auch die Natur Teil dieser Aufführung werden wollte.

 

An der Wand ein Herz: Das Zeichen für Marie begleitet die Live-Aktion; Projektion und Sprache greifen ineinander.
An der Wand ein Herz: Das Zeichen für Marie begleitet die Live-Aktion; Projektion und Sprache greifen ineinander.

Was überraschte: Trotz aller Komplexität blieb der Abend zugänglich. Man musste Büchners Text nicht kennen, um mitgerissen zu werden.

Die versprochene Immersion stellte sich ein. Am Ende blieb der Eindruck, einer seltenen Nähe beizuwohnen. Hochkarätige Künstler, die international gefragt sind, brachten ihr Werk nicht auf eine ferne Bühne, sondern ins eigene Zuhause.

Woyzeck war hier kein fernes Drama, sondern ein Erlebnis, das in den Alltag drang und doch über ihn hinauswies.

Ein Experiment, das den Wahnsinn der Figuren nicht auf Distanz hielt, sondern ihn mitten unter die Zuschauer brachte.

Die Bauernfigur als Symbol für Woyzeck: Eine blaue Projektion trifft auf die Schatten der Tischlampe – das Wohnzimmer wird zur Bühne.
Die Bauernfigur als Symbol für Woyzeck: Eine blaue Projektion trifft auf die Schatten der Tischlampe – das Wohnzimmer wird zur Bühne.

Bild ganz oben: Textprojektion-im-Wohnzimmer-die-improvisierte-Leinwand-fuehrt-als-Leitfaden-durch-Buechners-Fragment

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