
Bergwanderung am Dent BlancheStrenge, Schönheit und eine Lektion in Demut
Von Yannick Ziehli
Von Ferpècle führt ein langer Zustieg zur höchstgelegenen bewarteten SAC-Hütte. Von dort beginnt die anspruchsvolle Route über den Wandfluegrat auf die Dent Blanche (4357 m ü. M.). Ein Berg, der nicht nur Panorama schenkt, sondern Respekt einfordert – und Demut lehrt.
Die erste Etappe: Ferpècle
Es muss kein Gipfel erklommen werden, um die Schönheit des Val d’Hérens zu erfassen. Schon die Borgne bei Bramois glitzert idyllisch. Weiter oben wird sie alpin und kantiger und taucht in Evolène in den Schatten der markanten Pyramide: die Dent Blanche. Zwar nicht so weiss wie ihre südliche Schwester, die Dent d’Hérens – deren Namen wohl einst vertauscht wurden -, dafür umso mächtiger.
Die erste Herausforderung besteht darin, einen Parkplatz beim Stauwehr von Ferpècle zu finden. Denn von hier starten zahlreiche Touren und Wanderwege in paradiesischer alpiner Umgebung.
Der lange Zustieg zur Hütte
Der Aufstieg zur «Cabane de la Dent Blanche», der höchsten bewarteten Hütte (3507 m ü. M.) des SAC, gehört zu den anstrengendsten. 5–6 Stunden sind für die 1750 Höhenmeter angegeben.
Zauberhafte Wälder prägen den Anfang, bevor sich der Weg durch endlos erscheinende Wiesen hinaufschlängelt. Mehrere Bäche müssen überquert werden, und je nach Wasserstand bleiben keine Füsse trocken. Über Platten, Geröllfelder und zuletzt ein Schneefeld erreicht man die kleine Hütte inmitten gigantischer Natur.
Strenge und Charme auf 3507 Metern

George Zoganas, Hüttenwart und Bergführer, wird seinem Ruf gerecht. Das Lichterlöschen, die Tagwache und die Frühstückszeit sind nicht verhandelbar! «Wem die Zeit nicht ausreicht, gehört nicht auf den Berg.» Hinter den fast einschüchternden Bedingungen stecken roher Charme und eine genuine Sorge um die Sicherheit der ambitionierten Alpinisten. Wer zu früh aufbricht, droht in der Dunkelheit zu verschwinden. Beim abendlichen Briefing in dreieinhalb Sprachen erklärt er die Route: «Wer um 10.30 Uhr nicht auf dem Gipfel ist, kehrt um.» – ein Satz, der hängen bleibt.
Dann, bevor das Licht ausgeht, erklingt, wie jeden Abend in der Cabane de la Dent Blanche, Brahms‘ «Wiegenlied». Die Nacht wird kurz.
Aufbruch ins Dunkel
Die Nacht war kurz. Um 04:30 Uhr dröhnt „Mission Impossible“ durch die Schlafräume. Das Frühstück – wie auch das Abendessen – war erste Klasse. Die von der Nacht geschenkten tiefen Temperaturen wollen genutzt sein, um den Gletscher nach der Wandfluelücke und das steile Schnee- und Eiscouloir vorbei am grossen Gendarmen in besten Bedingungen durchsteigen zu können.
Noch vor Tagesanbruch laufen die Seilschaften in regelmässigen Abständen los. Die Stimmung ist gut, aber konzentriert. Die Sonne steigt langsam empor und setzt das gegenüberliegende Matterhorn ins beste Licht und lässt die Stirnlampen am Hörnligrat langsam verblassen.
Am Wandfluegrat

Das gefrorene Couloir, auch wenn nur einige Seillängen lang, hat Nordwandcharakter. Umso genussvoller sind die ersten Sonnenstrahlen beim Ausstieg über dem Grand Gendarme, der etwas über 4000 m ü. M. liegt.
Es folgt ästhetische Gratkletterei zwischen Ost- und Westflanke, den Wandfluegrat hinauf. Die atemberaubende Aussicht droht dabei das Tempo zu drosseln, man möchte in der Landschaft der 4000er versinken.
Der obere Teil ist relativ flach und zeugt von keiner besonderen Schwierigkeit mehr. Vier Grate aus den Himmelsrichtungen formen den Gipfel, der genug Platz bietet, um die Stille nach dem Aufstieg zu geniessen.
Gipfel als Zwischenziel

Auch auf der Dent Blanche ist der Gipfel nur ein Zwischenziel. Denn der Abstieg dauert in der Regel länger als der Aufstieg. Die technischen und oft exponierten Passagen müssen abgeklettert werden. Wer sich entscheidet, alles abzuseilen, lässt viel Zeit liegen.
Mit den wärmer werdenden Temperaturen werden die Bedingungen heikler. Man zählt auf das gute Wetter, damit der Weg nicht noch beschwerlicher wird.
Etwas mehr als dreieinhalb Stunden benötigen wir für den Gipfel und mehr als fünf zurück zur Hütte. Es folgen mindestens drei weitere Stunden und 1750 Höhenmeter talabwärts bis zum Parkplatz.
Ein Berg, der Demut lehrt
Die Dent Blanche ist kein Schreckgespenst, aber auch kein Spaziergang. Sie ist ein Berg, der Respekt fordert. Erfahrung und Kondition sind die Voraussetzungen, um diesen Gipfel zu erleben, der nicht nur Panorama schenkt, sondern auch Demut lehrt.



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