
Nebulös: Warum zwei Zermatter eine scheinbar völlig überflüssige Firma gründen
Eine Glosse von Thomas Baumann
Zermatter stehen im Ruf, schlaue Bergler zu sein. Alle? Nein, zwei wackere Einwohner leisten scheinbar tapfer Widerstand.
Benjamin Schaller ist mit seiner Schallergroup ein scheinbar erfolgreicher Bauunternehmer in Zermatt. An der Adresse seiner Firmenholding sind nicht weniger als 15 Firmen registriert. Ist ihm etwa der Erfolg seiner vom Vater geerbten Firma in den Kopf gestiegen? Der Volksmund sagt: Die Gründergeneration baut es auf, die Nachfolgegeneration wirtschaftet es herunter.
Paul Julen von Tradition Julen ist nicht weniger erfolgreich. Und hat sogar eine eigene Tradition. Und eine Biogasanlage. Wenn er Blähungen hat, so munkelt man in Zermatt, schläft er jeweils in seiner Biogasanlage und produziert Ökostrom. Traditionelles Handwerk, so nennt man das. Und so etwas hat natürlich seinen Preis.
Diese beiden Herren – die Spatzen pfeifen es von den Dächern – hätten quasi vor der eigenen Haustür in Zermatt gerne den Reibach gemacht. Deshalb traten sich gegen den etablierten Abfalldienstleister Schwendimann AG an. Und unterlagen haushoch. Oder anders gesagt: Sie wurden schon vor Beginn des Spiels disqualifiziert. Sie hatten übersehen: Profitstreben alleine ist noch keine Qualifikation. Die für die Bewertung der in der Ausschreibung eingereichten Gebote zuständige Rytec AG urteilte daher knallhart: Hausaufgaben nicht gemacht, Spezifikationen nicht erfüllt. Ist aber auch blöd, so ein Schiedsrichter aus der Üsserschwiiz. Ein Walliser Schiedsrichter hätte das einzig wesentliche Kriterium natürlich sofort erkannt.
Mit hängenden Köpfen gingen die beiden Herren also nach Haus. Benchj umarmte seinen grössten Bagger und Pauli ging wieder in seine Biogasanlage, denn er pfiff gerade aus dem letzten Loch.
Doch ein echter Zermatter gibt nicht auf. Und wenn er das Matterhorn auf den Kopf stellen muss, um trotz Schwindelanfällen – Schwindel ist in Zermatt übrigens ein weit verbreitetes Phänomen – den Gipfel zu erklimmen.
Also gründeten diese beiden Herren zusammen eine Firma und tauften sie: Recycling Zermatt AG. Wie der Name „AG“ schon sagt: Da gibt es Aktienkapital und dieses bezahlten die Herren auch fleissig ein.
Und so machte diese Firma, was alle Firmen machen: Sie gab eine Webseite in Auftrag, pflasterte den ganzen Ort mit Werbung zu und pries ihre Angebote penetrant an. Und sind sie noch nicht gestorben, so leben sie noch heute. Ende der Geschichte.
Eine Phantomfirma wird gegründet
Doch mehr als ein Jahr nach Gründung der Firma: Immer noch keine Webseite. Kein Mensch auf dieser Welt kennt die Firma Recycling Zermatt AG, ausser ein paar recherchierenden Journalisten.
Was ist da los? Zuerst verpatzt man die Ausschreibung und dann gründet man völlig sinnlos eine Firma. Hat hier jemand zu viel Geld?
Trotz aller Verschwiegenheit: Die beiden so gerne schweigsamen Herren – Gerüchte gehen um, dass selbst Paul Julen’s körpereigene Biogasanlage absolut geräuschlos funktioniert – mussten sich schliesslich doch äussern. Sie hatten nicht bedacht: Das Handelsregisteramt verlangt danach.
Also wurde der Firmenzweck so charakterisiert: „Die Gesellschaft bezweckt die Entsorgung, Aufbereitung und Wiederverwertung von Gastronomie-Lebensmittel- und Siedlungsabfällen und von Abfall- und Wertstoffen aller Art zur ökologischen Energieverwertung, der Handlung mit diesen, die Erbringung von Transportdienstleistungen im Zusammenhang mit Abfall- und Wertstoffen aller Art sowie den Betrieb eines Ökohofs mit Schwerpunkt auf die Kreislaufwirtschaft“.
Immerhin, die Rechtschreibung passt perfekt zum Firmenzweck: Sie ist Müll. Wenn das nicht Vertrauen schafft – was sonst?
Und wir lernen zudem: Wer auch immer das geschrieben hat – der Lehrermangel im Oberwallis hat definitiv Konsequenzen.
Natürlich müsste es heissen: „mit Schwerpunkt auf der Kreislaufwirtschaft“. Und welche Handlungen die Firma mit dem Abfall wohl vornehmen will?
Ominöse „Handlungen“ mit Abfall
In so einem Fall machen Journalisten, was sie immer machen: Sie recherchieren. Eine Google-Recherche fördert zutage, dass der Begriff Handlung am häufigsten in folgenden Zusammenhängen verwendet wird:
1. „Sexuelle Handlungen“
2. „Kriminelle Handlungen“
3. „Kriegerische Handlungen“
Kriminelle Handlungen können wohl ausgeschlossen werden. Schaller und Julen sind schliesslich beide Ehrenmänner. Sollen sie etwa Abfall von der Strasse klauen?
Kriegerische Handlungen mit Abfall? The Great Rubbish Wars of Zermatt? Auch eher unwahrscheinlich.
Bleibt, im Ausschlussverfahren, die Variante sexueller Handlungen mit Abfall. Umso wahrscheinlicher, als die Jahrhunderte dauernde Herrschaft des katholischen Klerus bekanntermassen allerhand Perversionen Vorschub leistete. Solche Gewohnheiten legt man nicht von einem Tag auf den anderen ab. Und bis vor Kurzem war das Wallis ja so arm, dass sogar Abfall ein Objekt der Begierde war. Konzerne wie Alusuisse vergruben ihn gar wie einen Schatz im Boden.
Das Geheimnis der Abfallentsorgung ist gelöst
Wäre damit das Geheimnis der zukünftigen Abfallentsorgung in Zermatt gelöst? Soll die Abfallentsorgung in Zukunft mittels sexueller Handlungen erfolgen? Erhält der Begriff der „Abfallorgie“ so eine ganz neue Bedeutung? Dies könnte auch das schamhafte Schweigen der Zermatter Verantwortlichen zur neuen Abfallentsorgung erklären. Denn Sie wissen schon: Über Sex spricht der Walliser genauso ungern wie der Schweizer.
Vielleicht irrten wir alle, als wir glaubten, durch die Ausbootung von Schwendimann gehe Zermatt den Weg zurück ins Mittelalter der Abfallentsorgung. Vielleicht steht die wirklich revolutionäre Art der Abfall- und Wertstoffverwertung im Zeichen des Eros erst kurz vor dem Beginn. Wir warten gespannt. Denn schon vor zwölf Jahren hat die Gemeinde alle überrascht. Vielleicht überrascht Zermatt die Welt diesmal mit einer noch viel grösseren Sensation. Wir werden es sehen.
Doch zurück zu den Fakten: Die Gemeinde Zermatt hat glasklar kommuniziert, dass sie die Abfallentsorgung in Zukunft in Eigenregie durchführen will. In Eigenregie. E-I-G-E-N-R-E-G-I-E. Das ist ein Wort mit zehn Buchstaben. Das dürfte nicht so schwer zu verstehen sein, ausser zur Schreibschwäche geselle sich auch noch eine ausgeprägte Leseschwäche. Und den beiden Herren dürfte bekannt sein: Amtspersonen in der Schweiz lügen nicht.
Die Ausgangslage ist also die: Die Gemeinde Zermatt verkündet laut und deutlich, die Abfallentsorgung in Zukunft in Eigenregie durchzuführen. Die beiden Herren, die bei der öffentlichen Ausschreibung komplett durchfielen, gründen dennoch eine Firma zur Abfallentsorgung. Diese hat aber weder einen Internetauftritt, noch macht sie sonst Werbung. Es scheint, als buhle diese Firma überhaupt nicht um Aufträge.
Warum also eine solche Firma gründen und dabei Geld verlochen? Entweder ist den beiden Herren wirklich der Geschäftssinn komplett abhanden gekommen – oder aber in Zermatt ist etwas faul.